Heft 
(1891) 66
Seite
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Willkürliche und unwillkürliche Bewegung.

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preßtes Durchstreichen klingend werden soll, und sodann müssen Grad und Ort dieser Verengungen jeden Augenblick aufs mannigfachste gewechselt werden, um die verschiedensten Töne der Musik oder Buchstaben der Sprache entstehen zu lassen.

Wenn wir nun sprechen oder singen, so ist dies im Ganzen ohne Zweifel so entschieden wie nur irgend etwas, was wir thun, unsererseits eine willkürliche Benutzung der Organe, die wir dazu haben. Wir wollen unsere Gedanken durch Worte ausdrücken. Wir kennen durch häufig wiederholtes Hören den Klang der Worte und sind uns durch ebenso oft wiederholten Gebrauch bewußt, denselben, wenn wir wollen, Hervorbringen zu können. Ebenso weiß der Sänger voraus, wie die Töne klingen sollen, und daß er sie Hervorbringen kann, wenn er will. Geschieht also das Eine und Andere, so ist es durch den Willen erfolgt. Wie viel dazu im Einzelnen gehört, davon wissen freilich die meisten Menschen nichts; aber ebenso wenig wissen sie ja auch, was für ein Muskel das ist, mit welchem man seinen Finger krumm macht; Wie und wo aber erst der Wille auf den Nerven wirkt, der zu dem Muskel geht, davon wissen freilich bis jetzt die Physio­logen noch wenig. Aber wie man weiß, wie es aussehen wird, wenn der Finger krumm ist und daß man dies machen kann, so weiß man, wie der Ton klingen soll und daß er es thun wird, wenn man will, daß es so klingen soll. Wenn es also geschieht, so hat man es gewollt; es ist Alles geschehen, was geschehen mußte, damit es so klang, und alles dies ist geschehen, weil man es so wollte. Und freilich ist dies dann im Einzelnen eines der erstaunlichsten Beispiele davon, wie bis ins Feinste eine höchst complicirte Action im Voraus angeordnet sein kann, einzig vermöge der Intention auf den ebenso bis ins Feinste zuvor in Absicht genommenen letzten Erfolg, der sich erst nachträglich der Beobachtung zum con- trolirenden Vergleiche darbietet, ob er auch der rechte ist, der beabsichtigt wurde. Die ungeheure Zahl z. B. der nach Höhe und Tiefe verschiedenen Töne, die eine Stimme umfaßt und die nur durch die ganz kleinen Schwankungen im Grade der Anspannung jener Membran am Rande der Stimmritze bedingt sind, welche ohnehin bei jedem Ton der Stimme durch eben dieselben kleinen Muskeln gespannt erhalten sein muß, werden vom geübten Sänger mit Sicherheit eingesetzt, Weil sein Wille für jede Nüance, deren Klang sich seine Phantasie vorstellt, auch gleich die Einleitung des genau entsprechenden Grades von Einwirkung auf den Nerven und durch diesen auf den Muskel in Bereitschaft hat, vermöge deren die Membran gerade so viel schärfer oder weniger scharf angezogen werden wird, wie es eben dieser Ton fordert.

Zu dem, was auf diese Weise alles als nöthige Voraussetzung zu dem ge­wollten Erfolge durch den Willen mit veranlaßt ist, gehören natürlich auch solche Bewegungen, die für sich allein gar keinen Erfolg ergeben würden, d. h. keinen, von dem wir vor oder nachher etwas wissen oder merken. Dahin gehören die vorbereitenden Acte des Sprechens, das Ansetzen der Anstrengung zum Athmen, das Absperren des Luftweges nach oben durch die Nase und vorläufig auch einmal dessen durch den Mund, um ihn dann erst einzeln aufgehen zu lassen und nur hier und da zu beengen, wenn Ton für Ton gebildet werden soll. Alle diese vorbereitenden Bewegungen, die allein noch nichts von dem bewirken, was wir