Heft 
(1891) 66
Seite
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Willkürliche und unwillkürliche Bewegung.

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sich in der Erfüllung ihrer Zwecke zu stören. Denn mit dem Ein- und Aus- athmen zum Zwecke des Sprechens, erfährt zwar der gewöhnliche Verlauf der unwillkürlichen Athembewegungen als solcher eine Unterbrechung; aber fein Zweck, die immer erneute Berührung des Blutes mit frischer Luft, wird unter­dessen auch so erfüllt und dann tritt er hernach gleich wieder in seine Rechte, sobald die Ansprüche, welche von Seiten der Stimmbildung an den Blasebalg gemacht werden, ihr Geschäft einstellen.

Nun tritt aber noch ein Drittes mitbestimmend beim Gebrauche dieser Organe ein, was weder reiner Einfluß eines Willens ist noch Effect von der Einwirkung eines Reizes. Das ist wieder der Zustand der Gefammt- stimmung im Gemüthsleben, von welchem die Arbeit der Hautmuskeln im Ge­sicht fast ausschließlich abhing. Dieser Einfluß kann den gewöhnlichen Gang des ruhigen Athmens stören, hemmen oder beschleunigen; er kann ebenso den vom Willen geleiteten Gebrauch des Mechanismus der Athmung zum Zwecke der Stimmbildung erschweren; er seht mit Vorliebe gerade dann ein, wenn die Leitung des Geschäftes durch Reflex beim Athmen und durch den Willen beim Sprechen einander ablösen, also wenn man anheben will zu sprechen, oder auf­hört es zu thun; d- h. also, daß jede Art von Aufregung den Anfang der Rede oder die Rückkehr zum stillen Athmen hindern kann. Eigenthümlich ist ferner beim Eingreifen einer stärkeren Erregung des Gemüths in den Gang der Be­wegung des Athmens auf alle Fälle, daß dieselbe dadurch gerade in der Phase angehalten wird, bei der sie sonst nicht lange still zu stehen pflegt- Das Athem- holen Pflegt sowohl im ruhigen gewöhnlichen Gebrauche als zum Behuse der Einleitung des Sprechens mit einer Einathmung anzuheben, der das Ausathmen schnell folgt, um dann eine Pause zu machen und auszuruhen. In der Erregung aber durch die verschiedensten Affecte pflegt die Bewegung des Athmens gerade nach dem ersten Acte, dem Einathmen anzuhalten, gleichsam als wäre noch nicht genug Dehnung der Brust erreicht, um sie sich wieder entladen zu lassen. In diesem angehaltenen Athmen oder Seufzen, Wie wir es meist nennen, drückt sich ein unbefriedigter Stillstand innerer Erregung aus.

Der Seufzer stellt daher, als ein Stillstand oder eine Unterbrechung des Athmens mitten zwischen Ein- und Ausathmen, eine Phase oder einen Moment der Erstarrung im Flusse einer sonst so stetigen Bewegung dar, durch welche ein Still­stand der Seele, ein Anhalten oder Abbrechen zwischen strebender Anstrengung und befriedigter Erreichung des Zieles symbolisch zum Ausdruck kommt. Wir empfinden ihn selbst wie einen solchen Stillstand, der sich unwillkürlich und unwidersteh­lich aus unsere ganze Stimmung legt. Und er wird als Ausdruck von diesem inneren Zustande auch für die Beobachtung durch Andere plastisch anschaulich, wie dies in der elastischen Gestalt des Laokoon künstlerisch zur Darstellung ge­bracht ist. Nachher tritt wieder Bewegung ein, aber die Pause in derselben und zwar die ungewöhnliche mitten in dem eingesetzten, aber nicht abgeschlossenen Athemzuge setzt sich sehr deutlich gegen das ab, was vorherging und nachfolgte, mag es als Stimme hörbar oder als ruhiges Athmen weitergehen. Ferner ge­hört zu den Modistcationen des Athmens durch Stimmung des Gemüths- zustandes auch jede Art von Schluchzen oder Lachen, welche die sichtbaren Züge