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Deutsche Rundschau.
zu Bernardino Ochino, der 1487 in Siena geboren, 1534 der in dem Capuciner- orden neuerstandenen Franciscanerreform beigetreten war und der trotz mannigfacher Anfechtung feiner mehr und mehr protestantisirenden Ansichten unter dem Schutze Caterina Cybo's und Vittoria Colonna's acht Jahre lang eine glanzvolle, in ganz Italien bewunderte Thätigkeit als Prediger entfaltete, bis der innere Conflict zum Durchbruch gelangte und ihn zur Flucht nach der Schweiz veranlaßt^ Der Brief, den er am 22. August 1542 aus dem Kloster Montughi vor den Thoren von Florenz an Vittoria richtete, ist das letzte Zeugniß für ihre Beziehungen: das Schreiben der Marchesa an Cardinal Cervini vom 4. December 1542 beweist, wie schmerzlich dieselbe von dieser Wendung der Dinge ergriffen war und wie entschieden sie Ochino's Schritt verurtheilte, während sie aus der anderen Seite in einem Schreiben an Morone hervorhebt, sie verdanke ihr Heil Reginald Pole, denn er habe ihr Einhalt gethan und sie von vielen Truggedanken zurückgebracht. Der 1870 von Giacomo Manzoni Publizirte Proceß Pietro Carnesecchi's läßt keinen Zweifel darüber, daß die von dem Sant' üsfizino 1566 bestellten Inquisitoren sowohl Vittoria als Pole der Häresie verdächtig, beide von dem lutherischen Solafides-Glauben inficirt erachteten, ja sie gehen sogar so weit, die Zuneigung Vittoria's zu dem Cardinal als fleischlichen Affect zu denunciren. Es liegt kein Grund vor, letztere Anklage, welche sich angesichts der Thatsachen von selber richtet, irgend einer Widerlegung zu würdigen, lieber die Frage, ob Vittoria sich die Lehre Luther's von der allein rechtfertigenden Gnade angeeignet, gehen die Ansichten auseinander. Benrath hat sie bejaht, Reumont sie verneint. Als Alfred von Reumont sein Buch über Vittoria Colonna schrieb, unterhielt er über diesen Gegenstand eine Korrespondenz mit mir. Ich sprach damals eine Meinung aus, welche ich auch heute noch für die richtige halte. Wer Italien kennt, weiß, wie vielfach das Volk äußeren Uebungen der Frömmigkeit ergeben ist, darüber aber nur zu oft den Geist und den Inhalt vergißt. Wie oft hat Savonarola dies Thema behandelt, und doch ist kein Zweifel, daß er von dem Solasidesglauben weit entfernt war. Der Anblick dieser Dinge mochte, namentlich unter dem Einflüsse von Männern wie Valdez und Ochino, welche lange Zeit ihre wahre Herzcns- meinung verheimlichten, Vittoria Colonna und Andere in der That dazu geführt haben, einen stärkeren Nachdruck auf die erlösende Gnade Christi als auf äußere Uebungen zu legen: um so leichter konnte das geschehen, als die Bestimmungen des Trienter Concils über diesen Punkt damals noch nicht getroffen waren. Daß Vittoria aber innerlich zur Lehre Luther's übergetreten, dafür liegt kein Beweis vor; im Gegentheil spricht ihr ganzes religiös-ascetisches Leben für die entgegengesetzte Annahme. Man wird kaum irre gehen, wenn man annimmt, daß in Hinsicht der Lehre von der Rechtfertigung ihre Vorstellungen diejenige Richtung gewonnen hatten, welche um 1541 in Deutschland die geistvollen Vertreter der Vermittelungspartei, der spätere Bischof Julius von Pflugk und Gropper eingeschlagen hatten und der auch Contarini im Wesentlichen beigetreten war. Als der Cardinal auf der Rückreise nach Italien die gegen ihn gerichteten Verdächtigungen vernahm, schrieb er, genau ein Jahr vor seinem Tode, 1541, 23. August an den Cardinal Farnese: „er hoffe zu zeigen, daß die, welche