Heft 
(1891) 66
Seite
438
Einzelbild herunterladen

438

Deutsche Rundschau.

Vittoria Colonna habeeoms 1a moglie ä'un tattoro" geschrieben. Aber sicher War ihr das Briefschreiben kein Bedürfniß wie das Dichten; hat sie, wie das erste Sonett der jetzigen Sammlung besagt, gedichtetum des Herzens Weh zu stillen" (serivo sol xsr skoZar l'intorna äoZIia Oi eüo si xarso 11 eor"), so trägt ihre Korrespondenz im Gegentheil im Allgemeinen durchaus den Charakter des Geschäftlichen. Wußte doch die welterfahrene Fürstin ohne Zweifel zu gut, wie schlecht es zu ihrer Zeit um das Briefgeheimniß gestellt war und wie sie über­wacht wurde, als daß sie in ihrer Korrespondenz sich zu offen aussprechen mochte: so war sie weder darauf bedacht noch ist es ihr gelungen, den Brief zum Kunst­werk zu gestalten. Die familiären Briefe sind einfach gehalten; Reumont ver- muthet, daß sie fremder Betheiligung unterworfen wurden, etwa der ihres mit der römischen Literatenwelt und namentlich dem berühmten Briefschreiber der Farnesen, Annibale Caro, eng verbundenen, später in Lyon als Häretiker in contumaciam zum Tode verurteilten Geheimschreibers Jova von Lucca. Ihr selbst, gibt Reumont zu, waren die Sprachgesetze ebenso unbekannt wie vielen Anderen. Die an hochgestellte und fürstliche Persönlichkeiten gerichteten Schreiben Vittoria's sind von dem im sechzehnten Jahrhundert allenthalben herrschenden Fehler einer gekünstelten Phraseologie und den den Italienern und ihrem Briefstil bis heute anhaftenden übertriebenen Ergebenheitsbetheuerungen nicht freizusprechen. Der Zopf ist in die epistolarische Literatur noch früher eingedrungen, als in die bildende Kunst, und er hat seine Herrschaft darin bis zur Gegenwart behauptet, in den Titulaturen auch in Deutschland. Das spätere Renaissancezeitalter aber mit seinen berufsmäßigen Briefschreibern im Fürsten­dienste, aus deren Händen Wir ganze Sammlungen, wie dieUsttoro äi xrineixV erhalten haben, ging in diesem Punkte allen andern Zeitaltern mit schlechtem Beispiele voraus: man athmet wie befreit auf, wenn man aus dieser Atmosphäre zu den elastischen Briesschreibern Frankreichs hinübergeht und die epistolarischen Meisterwerke aus der Zeit Ludwig's XIV. genießt. Sieht man von diesen Mängeln ab, so kann Vittoria Colonna'sOartsZZio" sicher den werthvollern Briessammlungen der neuern Zeit zugezählt werden. So flüchtig diese Briefe hingeworsen sind, so erzählen sie doch von dem innern Leben ihrer Urheberin und geben Zeugniß ab von jener eigentümlichen Richtung,zu welcher," wie Reumont sich einmal äußert,der Geist sie trieb und der sie ihre hohe und fast einzige Stellung in der Geschichte verdankt". Was diese Stellung hauptsächlich bedingte, war der selbstverständlich bei den allerwenigsten Frauen Platz greifende Umstand, daß die Weltgeschichte sichtbar, wie ihr Biograph wiederum hervor­hebt, in Haus und Leben bei ihr eingegriffen hat. Das gab ihrem Wesen und ihrer geschichtlichen Erscheinung jene, ich möchte sagen, antike Größe, welche unseren bedeutenden Frauengestalten leider fast immer fehlt, weil Erziehung und Verhältnisse das moderne Weib meist ohne Beziehung zu den großen historischen Thatsachen lassen und es auf diese Weise fast dazu nöthigen, alle Dingeclu potit eotS" anzufassen, selbst wenn dies nicht von Vorneherein in der Natur des weiblichen Organismus gelegen wäre. Es ist schwer, für die Marchesa di Pescara einen Pendant in der neuern Geschichte zu finden. Sieht man nur auf die Dichterin, so würde ihr kaum eine andere Frau näher kommen, als unsere