Heft 
(1891) 66
Seite
440
Einzelbild herunterladen

440

Deutsche Rundschau.

Denkmälersucht geradezu epidemisch ist. Die Herausgeber des Briefwechsels machen den Vorschlag, ihr an der Stelle ihres Grabes ein Monument zu er­richten; es würde, meinen sie, den Frauen Roms eine Predigt sein:siats duous 6 kuZo-itz i« Der Umbau dieses düstern Quartiers dürfte aber kaum geeigneten Platz für ein würdiges Denkmal gelassen haben. Der selbstverständliche Platz eines solchen wäre die Umgebung des Palazzo Colonna, hätte man es nicht mit einer Familie zu thun, die ihre Gleichgültigkeit gegen das Andenken ihres edelsten Sprossen nur zu oft, namentlich auch gelegentlich der Herausgabe des Brief­wechsels an den Tag gelegt hat. Hätte ich für ein solches Denkmal die Stelle zu wählen, ich würde mich zu Gunsten der Stätte entscheiden, an der Vittoria Colonna in jenen Stunden verweilte, wo ihr Geist sich dem höchsten geistigen Genüsse hingeben konnte, Augenblicke, welche sicher ihr selbst als die glücklichsten und an Inspirationen fruchtbarsten ihrer Laufbahn erscheinen mußten. Das ist der Klosterhof von S. Silvestro a Monte Cavallo, der kleinen auf der Höhe des Quirinals, neben dem obern Zugänge zu dem Garten der Villa Colonna ge­legenen Kirche, in der Vittoria sich mit den Freunden zur Predigt des Fra Ambrogio da Siena zusammenfand: war die Predigt vorbei, so pflegte sie mit Michelangelo, Lattanzio Tolomei, Künstlern und Gelehrten die späteren Stunden des Tages unter den Bäumen und an dem Brunnen jenes herrlichen Kloster­hofes zuzubringen, dessen hohe, freie Lage eine der schönsten Aussichten über die ewige Stadt gewährt. Da wurden jene denkwürdigen Gespräche gehalten, über welche uns der portugiesische Maler Francesco d' Ollanda berichtet hat und deren Widerhall wir in Michelangelos Sonetten finden H. Da war es, wo die fürst­liche Dichterin den Künstler inspirirte, und wo, wie er selbst in einem jener Gedichte sagt,ihres Geistes herrliche Gestalten" in den seinigen eintraten und Leben gewannen. Niemand kann ermessen, was die Kunst diesen kostbaren Stunden des Austausches zwischen jenen beiden Menschen verdankt: sicher, daß wenige Stätten Roms in der Geschichte der Renaissance ein geheiligteres An­denken bewahren. Da, meine ich, sollte ein gemeinsames Standbild Vittoria's und Michelangelos den Bund der Poesie und der bildenden Kunst verherrlichen und kommenden Geschlechtern von jener seltenen Frau erzählen, die Ludovico Ariosto im siebenunddreißigsten Gesang desOrlando ünioso" also gepriesen hat:

Sie hat nicht nur durch süße Melodie Sich selber zur Unsterblichkeit erhoben.

Auch jeglichen, von dem sie singt und spricht,

Versetzt sie aus der Gruft zum ew'gen Licht."

Francesco d'OIlanda, der 1584 in Santarein starb, verweilte 1538 und 1539 in Rom. Seine Aufzeichnungen über die Gespräche Vittoria's und Michelangelo's sind längst durch A. Raczynski (4,68 Xrts sn UortuZuI, ?uri8 1846, x. 577) bekannt geworden; Herman Grimm hat sie dann in feinemMichelangelo" (Bd. II, Cap. 14) weiteren Kreisen zugänglich gemacht.

2) Ariosto, Orlunäo turioso, 6unto XXXVII, Str. 16. Ich citire die Verse nach der Uebersetzung A. v. Reumont's (Vittoria Colonna, S. 113), welche entschieden geschmackvoller ist als diejenige von Herman Kurz (Stuttgart 1856, Bd. III, S. 149).