Ueber Censur und Preßfreiheit.
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öffentliches Unrecht, über Mißgriffe der Regierungen und Behörden an die Oeffentlichkeit gebracht wurden.
Dieser gemäßigten Censur stand denn auch die Ausklärungsbewegung des vorigen Jahrhunderts keineswegs feindlich gegenüber; vielmehr war man auch hier von ihrer Zweckmäßigkeit, ja Nothwendigkeit überzeugt, so lange man nur eben selbst nicht dadurch genirt wurde*). Die deutsche Literatur aber hat sich unter der Herrschaft dieser Censur bekanntlich zu ihrer höchsten Blüthe entfaltet.
Diese Zustände konnten nun freilich nur so lange andauern, als die deutsche Bevölkerung bezüglich ihrer öffentlichen und staatlichen Verhältnisse in der bisherigen Lethargie verharrte. Erwachte sie hieraus, regte sich in ihr das Be- dürsniß nach einer Aenderung des hergebrachten Staats- und Gesellschasts- zustandes, tauchten Bestrebungen aus gegen die Allgewalt der bisher im Staate allein herrschenden Factoren, dann konnte es nicht fehlen, daß diese letzteren das in der Censur ihnen zu Gebote stehende Machtmittel bis zum äußersten Grade anspannen würden, um das Anwachsen und Umsichgreifen der neuen Ideen zu verhindern, und um sich selbst im Besitz der Gewalt zu erhalten. Dann aber mußte auf der anderen Seite die Censur als unerträgliche, jeden Fortschritt hemmende Fessel empfunden werden; und dies um so mehr, wenn das Ziel einer solchen Bewegung auf Demokratisirung der Staatsversassung und Popularisirung des Staatslebens gerichtet war. Denn dann erschien die Censur nicht nur als ein der Ausbreitung der Reformideen entgegenstehendes Hinderniß, sondern als ein dem Inhalte dieser Ideen, dem demokratischen Principe selbst widersprechendes Unrecht, die Preßfreiheit dagegen nicht nur als eine aus diesen oder jenen Zweckmäßigkeitsgründen empfehlens- Werthe Einrichtung, sondern als ein, in Gemäßheit jenes Princips jedem Einzelnen ohne Weiteres zukommendes, absolutes Recht.
Eine solche politische Bewegung, welche demgemäß alsbald zum Kampfe gegen die Censur führen mußte, hatte sich nun in der That seit Ende des vorigen Jahrhunderts der Geister bemächtigt. Ihr Ursprung aber lag nicht in Deutschland, sondern in Frankreich, in der großen Revolution von 1789. Und von Frankreich aus ist denn auch der Grundsatz der Preßfreiheit — in einem freilich überaus langsamen Tempo und unter manchen Rückschlägen — zu uns übergegangen.
II.
In Frankreich waren bis zur Revolution die Zustände aus dem Gebiete des Preßwesens ähnliche gewesen wie bei uns, nur daß die Censur, in Folge der größeren Centralisation der Staatsgewalt, in ungleich schärferer und willkürlicherer Weise gehandhabt wurde. Es schien dort, als ob die Regierung das Denken selbst unter ihre Controle gestellt hätte. Bekannt sind die Verse Voltaire's in
*) In Holstein wie in ganz Dänemark wurde unter dem Einfluß des Grafen Bernstorff durch Gesetz vom 14. September 1770 die Censur sogar völlig aufgehoben: ein auf dem europäischen Festlande damals einzig dastehender Vorgang.
Deutschs Rundschau. XVII, 6.
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