Ueber Censur und Preßfreiheit.
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Kritik unausbleiblichen Mißbräuchen und Pflicht Widrigkeiten in der öffentlichen Verwaltung. In letzterer Beziehung hatte schon Schlözer den drastischen Ausspruch gethan, „daß die ständische Verfassung ohne Publicität und Preßfreiheit nur allzu leicht zur privilegirten Landesverrätherei werde." Und was den möglichen Nutzen der Censur betraf, so sah man, daß die wirklich schädlichen, die beleidigenden, zur Gewalt aufreizenden, sittenverderbenden Schriften trotz aller Censur ihren Weg ins Publicum sehr Wohl zu finden wußten.
Vor Allem aber beginnt sich jetzt unter directer Einwirkung der französischen Menschenrechte ein brennendes Gefühl geltend zu machen, daß eine solche staatliche Bevormundung des geistigen Verkehrs denn doch freier, mit Vernunft begabter Menschen unwürdig sei. Aus der Freiheit der menschlichen Natur und einer ab- stracten bürgerlichen Freiheit wird das Postulat der Preßfreiheit abgeleitet.
In diesem Sinne hatte der damals noch freisinnige Friedrich Gentz in seinem berühmten Sendschreiben an Friedrich Wilhelm III. bei dessen Thronbesteigung 1797 die Preßfreiheit gefordert als ein Recht des freien Bürgerthums, als einen Bestandtheil der bürgerlichen Freiheit. So begründete der Rostocker Jurist Adolph Dietrich Weber in seinem berühmten Buche „Ueber Injurien und Schmähschriften" (1794) die Verwerflichkeit der Censur u. a. damit, daß dieselbe unzertrennlich verknüpft sei mit einer Verletzung aller Menschenrechte. —
Der Druck der bald folgenden napoleonischen Invasion ließ die Frage der Preßfreiheit naturgemäß für einige Zeit in den Hintergrund treten. Je despotischer aber unter der Fremdherrschaft jede nationale Meinungsäußerung unterdrückt wurde, desto mehr befestigte sich im Inneren der Gemüther die Ueber- zeugung von der Gerechtigkeit und Notwendigkeit der Preßfreiheit, und zwar auch in den Kreisen der Regierenden selbst, so daß nach der Abwerfung des fremden Joches diese Ueberzeugung geradezu als die allgemeine in Deutschland gelten konnte. Und in der That hatte es nun für einen Augenblick den Anschein, als ob dem deutschen Volke als Preis seiner Kämpfe und Siege mit anderen Politischen Reformen auch die ersehnte Preßfreiheit zu Theil werden würde. Die Regierenden waren dankerfüllten Herzens bereit, ihren Unterthanen einen Beweis des Vertrauens zu geben und damit zugleich den Gegensatz gegen das Regierungssystem Napoleon's zum Ausdruck zu bringen.
Wie mit der Einführung constitutioneller Verfassungen, so gingen auch hier die (neuerdings doch Wohl über Gebühr verunglimpften) Mittelstaaten voran. In den Jahren 1814—1818 wurde die Censur theils ausdrücklich, theils stillschweigend beseitigt in Württemberg, in Hessen-Darmstadt, in Mecklenburg, in Sachsen-Weimar, in Nassau. In Bayern war sie bereits 1803 aufgehoben worden, da man sich durch die Erfahrung überzeugt habe, daß dieselbe „weder gerecht noch zweckdienlich, noch hinreichend sei".
Mit diesen Maßnahmen einzelner Regierungen stand es sonach nur im Einklang, wenn in der deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815 Art. 18 die Verheißung ausgesprochen wurde, daß sich die Bundesversammlung bei ihrer ersten Zusammenkunft mit Abfassung gleichmäßiger Verfügungen über die Preßfreiheit beschäftigen werde. In der That trat die Bundesversammlung zu
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