Issue 
(1891) 66
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Deutsche Rundschau.

das Gebiet der Strafbarkeit über die bisherigen Grenzen hinaus ausgedehnt auf alleAeußerungen (sog. Angriffe) gegen die Religion, gegen die Grund­lagen und Einrichtungen des Staats, gegen die Anordnungen der Obrigkeit und die zu ihrer Handhabung berufenen Personen, welche wie es in Z 17 des Bundesbeschlusses heißt durch Kundgabe erdichteter oder entstellter Tat­sachen oder durch die Form der Darstellung geeignet sind, den Gegen­stand des Angriffs dem Hasse oder der Verachtung auszusetzen. Das war der berüchtigte Haß- und Verachtungsparagraph, welcher nun im folgenden Jahrzehnt eine so traurige Rolle spielte; eine kautschukartige Bestimmung, deren Anwendung aus den Einzelfall, beim Mangel jedes objectiven Kriteriums, durchaus dem subjectiven Meinen und Gutdünken, insbesondere aber der politi­schen Gesinnung des jeweiligen Beamten überlassen war. Wie früher bei der Censur das subjective Belieben über die Zulassung zum Druck, so sollte jetzt dasselbe Belieben über die Strafbarkeit bereits gedruckter Neu­st erringen entscheiden. Die Uebertragung solcher Gutdünkens- und Gesinnungs­entscheidungen an die Gerichte machte die Sache nicht besser, sondern war höchstens geeignet, die Integrität der Rechtspflege selbst zu beeinträchtigen.

Der gleiche Geist polizeilicher Erschwerung der an sich nicht mehr zu be­seitigenden Preßfreiheit hatte sich bereits vor dem Bundesbeschluß in dem preußischen Preßgesetz vom 12. Mai 1851 geltend gemacht. In einer Beziehung enthielt dieses jedoch eine Bestimmung, die als ein bedeutender Fort­schritt zur Gerechtigkeit hin begrüßt werden mußte, nämlich bezüglich des ver­antwortlichen Redacte urs periodischer Druckschriften. Nach den bisherigen Gesetzen hatte derselbe stets die volle Strafe der in seinem Blatte verübten Delicte zu tragen gehabt, ohne Rücksicht, ob ihn selbst eine Schuld daran traf oder nicht. Das preußische Gesetz von 1851 beschränkte dagegen diese volle Haft­barkeit auf die Fälle, in welchen der verantwortliche Redacteur das betreffende Delict wirklich selbst begangen oder wissentlich dazu mitgeholsen hatte. In allen anderen Fällen, wenn seine Täterschaft oder Theilnahme nicht nachzuweisen war und ihm sonach nur eine Nachlässigkeit in der Ueberwachung des Blattes, die fahrlässige Nichtverhinderung des von anderen Personen ver­übten Delicts zur Last fiel, sollte ihn nur eine Geldstrafe als sogenannte Fahr­lässigkeitsstrafe treffen.

Damit war der Gedanke der französischen Gerantenhaftung auf seine richtigen, dem allgemeinen Strafrecht entsprechenden Grenzen zurückgeführt: der Verant­wortliche Redacteur haftet zwar, auch wenn er nicht Thäter oder Theilnehmer ist; aber er hastet auch dann nur für das, was ihm selbst zur Last fällt, und das ist hier nur die Vernachlässigung seiner Redacteurpflicht. Eine solche Ver­nachlässigung kann gerechter Weise nicht mit der Strafe des vorsätzlich verübten Delicts (der Beleidigung, Gotteslästerung, Aufforderung zum Hochverrath u. s. w.), sondern nur mit einer viel geringeren Strafe belegt werden.

Bereits in den sechziger Jahren machte sich wieder ein freierer Geist in der Preßgesetzgebung einiger Mittel- und Kleinstaaten geltend, wie besonders des Großherzogthums Baden und der thüringischen Herzogtümer. Allgemein herrschend ward aber dieser freiere Geist erst, als nach den großen Ereignissen