Issue 
(1891) 66
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lieber Censur und Preßfreiheit.

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der Jahre 1870 71 das Deutsche Reich auf Grund des Art. 4 Nr. 16 seiner Verfassung die einheitliche Regelung des Preßrechts für ganz Deutschland in die Hand nahm.

Das Reichsgesetz über die Presse vom 7. Mai l874, welches heut zu Tage im ganzen Reich (mit Ausnahme von Elsaß-Lothringen) in Geltung steht, hat selbstverständlich nicht nur den seit damals sechsundzwanzig Jahren in Deutschland herrschenden Grundsatz der Preßfreiheit aufrecht erhalten, sondern es hat auch vorbehaltlich weniger preßpolizeilicher Bestimmungen zur Sicherung der Strafverfolgung mit allen jenen sog. Garantieen gegen den Mißbrauch der Presse und ebenso mit allen Haß- und Verachtungsparagraphen gründlich aufgeräumt H. Nur der verantwortliche Redacteur periodischer Druckschriften hat, wenn auch in etwas modificirter Gestalt H, auch heute noch sein privates Censoramt zu üben, und im Falle der Begehung eines Preßdelicts in seiner Zeitung, ähnlich wie nach preußischem Recht, mit einer Fahrlässigkeitsstrafe zu haften, sofern er nicht selbst Thäter oder Teilnehmer an dem Delict ist^).

Der Satz:Jeder Deutsche hat das Recht, seine Meinung auch durch den Druck frei zu äußern, vorbehaltlich seiner Strafbarkeit, falls diese Meinungs­äußerung gegen ein bestehendes Strafgesetz verstößt", ist sonach heute bei uns zur vollen Wahrheit geworden, und er hat uns, wie die Geschichte der letzten sechzehn Jahre lehrt, jedenfalls keine Nachtheile gebracht, die nicht durch gegen­überstehende Vortheile weit überboten würden.

Wir sehen heut zu Tage in der Preßfreiheit zwar nicht mehr, wie die Menschenrechte von 1789, ein aus der Volkssouveränität sich ergebendes, jedem Menschen angeborenes Urrecht; wir erblicken in ihr auch nicht mehr mit dem Idealismus der dreißiger und vierziger Jahre eine Panacee gegen alle Miß­stände im Gemeinwesen; im Gegentheil, wir verkennen durchaus nicht, daß un­beschränkte Preßfreiheit selbst manche Mißstände und Gefahren im Gefolge haben kannH.

Aber wir haben erkannt, daß bei unseren heutigen Culturverhältnissen, wo Alle im Staate zur Mitwirkung an den öffentlichen Angelegenheiten berufen

Einen letzten Versuch, durch beliebig dehnbare Strafbestimmungen der freien Bewegung der Presse entgegen zu treten, enthielt Z 20 des Entwurfs zum Reichs-Preßgesetz, wonach strafbar sein sollte,wer mittelst der Presse den Ungehorsam gegen das Gesetz oder die Verletzung von Gesetzen als etwas Erlaubtes oder Verdienstliches darstellt". Der Paragraph scheiterte an dem einmüthigen Widerspruche des Reichstages.

Er ist nur noch aus den einzelnen Nummern der Zeitung, nicht mehr von vornherein der Polizei zu benennen.

3) Mr die Thäterschaft des Verantwortlichen Redacteurs stellt das Gesetz in Z 20 allerdings eine rechtliche Vermuthung auf, so daß dieselbe im Einzelfall nicht erst bewiesen zu werden braucht; wohl aber kann sie stets durch den Gegenbeweis widerlegt werden, in welchem Falle dann die Fahrlässigkeitshaftung eintritt. Diese letztere selbst (und nur diese) kann durch den Nachweis pflichtmäßiger Sorgfalt, sowie auch durch den Nachweis des Verfassers oder Einsenders des strafbaren Aufsatzes seitens des verantwortlichen Redacteurs ausgeschlossen werden, lieber diese, zum Theil sehr bestrittenen Fragen unseres Preßstrafrechts vergl. mein Buch:Die strafrechtliche Haftung des verantwortlichen Redacteurs", Jena 1889.

4) Gegen solche richteten sich zum Theil die jetzt wieder weggefallenen Bestimmungen des Socialistengesetzes.