Issue 
(1891) 66
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Politische Rundschau.

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Sturz nur bei oberflächlicher Betrachtung gewissermaßen als ein politisches Natur- rreigniß, das mit jäher, elementarer Kraft wirkte; vielmehr war auch diese Katastrophe von langer Hand vorbereitet. Stimmten die italienischen Blätter nach den letzten allgemeinen Wahlen für die Deputirtenkammer darin überein, daß Crispi einen glänzen­den Sieg errungen habe, so wies doch die angeblich geschlossene Regierungsmehrheit, sobald man sie genauer betrachtete, eine ziemlich bedenkliche Zusammensetzung aus. Mochte es immerhin vom taktischen Gesichtspunkte aus nicht ungeschickt erscheinen, daß Crispi mit den gemäßigten Elementen der Rechten seinen Frieden geschlossen hatte, so stellte doch die von dem Führer der jungen Rechten, Rudini, geleitete Parteigruppe innerhalb der Kammermehrheit ein Element dar, dessen vollständige organische Verschmelzung mit der Linken von Ansang an ausgeschlossen war. Daß Rudini in seinem sicilianischen Wahlkreise, als er sich den Wählern vorstellte, die Uebereinstimmung seines eigenen politischen Programms mit demjenigen Crispi's in allen wesentlichen Punkten der aus­wärtigen und der inneren Politik betonte, vermochte nichts an der Thatsache zu ändern, daß ein innerer Gegensatz zwischen den Anschauungen der beiden Staatsmänner, die .zugleich hervorragende Parteimänner sind, unausgeglichen bleiben mußte.

Nur in Bezug aus das Festhalten Italiens an dem europäischen Friedensbünd­nisse, der Tripelallianz, stimmten Rudini und Crispi vollständig überein; ja, Rudini erklärte sogar in seiner Wahlrede, daß er geraume Zeit, ehe Crispi die Leitung der Staatsgeschäfte übernahm, mit aller Entschiedenheit sür das Bündniß Italiens mit Deutschland und Oesterreich-Ungarn eingetreten wäre. In der inneren Politik war jedoch die Uebereinstimmung der beiden Staatsmänner mehr negativer Natur. Hatte Crispi, der öffentlichen Meinung Rechnung tragend, in seinen mehrfachen Banketreden betonen müssen, daß er, um das Gleichgewicht im Staatshaushalte wieder herzustellen, keine neue Steuern verlangen werde, so stimmte der Führer der jungen Rechten dieser Auffassung der finanziellen Lage Italiens in vollem Maße zu. Dagegen mußte ein Vorbehalt Rudini's in einer anderen Frage der inneren Politik von Anfang an ver­fänglich erscheinen. Während Crispi großes Gewicht daraus legte, daß alle mit der Unterstützung der Regierung gewählten Abgeordneten, ohne sich in einzelne Gruppen abzusondern, eine geschlossene Regierungsmehrheit bildeten, hob Rudini hervor, wie es sich empfehlen würde, daß auch innerhalb dieser Mehrheit einzelne Gruppen fort- Leständen. Mit solchen Dispositionen hielt die aus den Wahlen verstärkt hervorgehende junge Rechte ihren Einzug in die neue Deputirtenkammer.

War also dieglänzende Majorität" keineswegs ein organisches Gebilde, so darf andererseits nicht in Abrede gestellt werden, daß Crispi mancherlei gethan hatte, um die Opposition zu erbittern. Wird selbst von den Jrredentisten vom Schlage Jmbriani's, den sranzosenfreundlichen Republikanern wie Cavallotti im Hinblick auf deren gering­fügige Anzahl abgesehen, so mußten doch Persönlichkeiten wie Nicotera und Bonghi, die sich bei jeder Gelegenheit nicht bloß zurückgesetzt, sondern auch verspottet sahen, -mit Ungeduld die erste günstige Gelegenheit erwarten, bei der sie Revanche nehmen konnten. Nicotera, der zur Zeit derPentarchie" derselben kleinen Gruppe wie Crispi angehörte, mußte es besonders hart empfinden, daß sein alter Kampfgenosse, nachdem er in den Vollbesitz der Regierungsgewalt gelangt war, ihn mit Gering­schätzung behandelte, während Bonghi, an den Ueberlieseruugen der alten Consorteria festhaltend, nicht nur durch gekränkten Ehrgeiz geleitet wurde, sondern auch das nach seiner Auffassung allzu schroffe Vorgehen gegen Frankreich mißbilligte. Bonghi übersah dabei geflissentlich, daß die französische Republik alle von Seiten Italiens auf handels­politischem Gebiete gemachten Zugeständnisse als einen ihr gebührenden Tribut hin­nahm, ohne bisher mit der gleichen Freundlichkeit zu antworten. Dies lag eben in der Situation; die Franzosen wollten einmal Italien für seinen Anschluß an die Tripel­allianz bestrafen, dann aber auch am allerwenigsten zu Gunsten Italiens auf ihre schutz- .zöllnerischen Bestrebungen Verzicht leisten. Hierzu kam noch, daß Crispi ihnen be­sonders verhaßt war, da er bei jeder Gelegenheit mit begreiflichem Selbstgefühle betonte,

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