Issue 
(1891) 66
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Deutsche Rundschau.

daß Italien als gleichberechtigter Factor des europäischen Friedensbündnisses irgend welche von Frankreich beanspruchten Vorrechte nicht mehr gelten ließe.

Daß jedoch die Katastrophe so rasch ersolgen würde, konnten selbst die unablässig die Stellung Crispins unterminirenden Widersacher des bisherigen italienischen Conseil­präsidenten nicht vorhersehen. Rudini mochte allerdings die Schwierigkeiten bereits ahnen, als er in seiner Wahlrede zu Termini daraus hinwies, daß die parlamentarischen Verhältnisse im Vergleiche mit srüheren Zeiten eine Veränderung erfahren müßten, insofern nicht mehr zwei große Parteien einander in der Deputirtenkammer gegenüber­stehen, sondern ihr Gros verschiedene Abstufungen derselben Partei umfassen würde. Anscheinend wendete sich Rudini damals gegen eine von Bonghi kundgegebene Auf­fassung, in Wirklichkeit trifft es nunmehr aber auch auf Crispi selbst zu, wenn es in der zu Termini vor einigen Monaten gehaltenen Wahlrede heißt:Man hatte nicht, wie behauptet wurde, den anmaßenden Gedanken, Crispi zum Gefangenen zu machen; man wollte aber auch selbst nicht Gefangener der Majorität sein. Weit entfernt, Crispi zu bekämpfen, wollte man ihn vielmehr unterstützen, ohne über die Grenzen der eigenen Meinungen und Ueberzeugungen hinauszugehen/'

Vor dem Wahlkampfe, bei dem die junge Rechte unter den Auspicien der Regierung focht, wurde in diesen Aeußerungen das hauptsächliche Gewicht auf den gegen Bonghi gerichteten Passus gelegt; jetzt aber empfiehlt es sich wohl, daran zu erinnern, daß Rudini sich und feine Parteigruppe dagegen verwahrte,Gefangene" der Regierungs­mehrheit zu sein, und daß er von Anfang an auf die Grenzen hinwies, über welche die junge Rechte nicht hinausgehen würde. So erscheint der Sturz Crispsts in einer anderen Beleuchtung, zumal, wie in der Wahlrede von Termini, auch bei der jüngsten Krisis Crispi, Bonghi und Rudini die hauptsächlich in Betracht kommenden Persönlich­keiten waren. Wendete sich doch der bisherige Conseilpräsident unmittelbar gegen Bonghi, diese Säule der ehemaligen Consorteria, als er in der Deputirtenkammer die entscheidenden Worte sprach:Ihre Politik ist eine schlecht berathene und servile gewesen." Auf diese Weise ebnete Crispi dem Führer der jungen Rechten die Bahn zur Regierung. Nicht in Abrede gestellt werden darf, daß diese Aeußerung in ihrer schroffen Fassung die früheren Anhänger Minghettsts und Sellws, deren Patriotismus von keiner Seite angefochten werden kann, verletzen mußte. Die Mehrheit, welche kurz vorher noch für Crispi gestimmt hatte, ließ ihn im Stiche, als der Uebergang zur Berathung der einzelnen Artikel der von der Regierung eingebrachten Vorlage beschlossen werden sollte. Durchaus verfehlt wäre jedoch die Annahme, daß dem neuen Cabinet durch diesen ablehnenden Beschluß zugleich eine Directive in dem Sinne gegeben worden sei, die auswärtige Politik umzugestalten. Vielmehr wollte die Rechte in allen ihren Schätzungen nur den Vorwurf nicht gelten lassen, daß die Consorteria servil gegen Frankreich gewesen sei. Nach dieser Einschränkung darf andererseits zugestanden werden, daß Crispi sich in dem von ihm angeschlagenen Tone vergriffen hatte.

Der neue Conseilpräsident di Rudini, wie sein Vorgänger Sicilianer von Geburt, bekennt sich im Gegensätze zu diesem zu der Maxime: ^ortiter in rs, suaviter in rnoäo. Daß Rudini mit aller Entschiedenheit vorzugehen weiß, hat er in jener Zeit bewiesen, als er an der Spitze einer Anzahl Nationalgardisten im Jahre 1866 den Aufständischen in Palermo entgegentrat. Damals war er trotz seinen jungen Jahren bereits Bürgermeister der sicilianischen Hauptstadt. Rudini wird sicherlich auch seinen Mann stehen, falls von französischer Seite Uebergriffe gemacht werden sollten, aber er wird die Empfindlichkeiten Frankreichs zu schonen suchen. So erklärt es sich, daß die Berufung Rudinsts zur Leitung des neuen Ministeriums und der auswärtigen Politik Italiens, ebenso wie die inzwischen in den Kammern verlesene ministerielle Erklärung in Frankreich einen günstigen Eindruck hervorgerufen hat, obgleich man sich dort keineswegs verhehlt, daß die Tripelallianz den Lebensinteressen Italiens allzu sehr entspricht, als daß ein Ministerwechsel in dieser Hinsicht Wandel schaffen könnte. Die maßgebenden Kreise in Frankreich wissen sehr wohl, welche Bedeutung das von dem europäischen Friedensbündnisse gewährleistete Gleichgewicht im Mittelländischen Meere