Politische Rundschau.
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gerade sür Italien haben muß, so daß dieses aus die ihm gebotenen Vortheile nicht Verzicht leisten wird. Dagegen wird jenseits der Vogesen zu Gunsten des Führers der jungen Rechten angenommen, daß er nicht bloß in der Form weit versöhnlicher sein wird als sein Vorgänger, sondern auch gewillt ist, den finanziellen Verhältnissen Italiens in vollem Maße Rechnung zu tragen.
Die italienische Regierung, vor die Alternative gestellt, die gleichberechtigte Position innerhalb der Tripelallianz zu bewahren oder das Gleichgewicht im Staatshaushalte herbeizusühren, würde eine Entschließung treffen müssen. Die Staatskunst des neuen Cabinets wird eben darin bestehen, durch Ersparnisse, die jedoch nicht die Wehrkraft des Landes gesährden dürfen, zu demselben Ziele zu gelangen. Das Tempo, in welchem bisher die italienische Marine sich zu ihrer gegenwärtigen Bedeutung entfaltete, wird jedenfalls etwas verlangsamt werden, auch das Kriegsministerium wird sich weitere Reductionen gefallen lassen müssen; wesentlich ist jedoch, daß die Tripelallianz nach wie vor die Grundlage der auswärtigen Politik Italiens bleiben soll. Die Regierungen von Deutschland und Oesterreich-Ungarn werden mit Rücksicht aus den friedlichen Charakter ihres Bündnisses mit Italien ganz zufrieden sein, wenn dessen Beziehungen zu Frankreich sich freundlicher gestalten. Den Alarmgerüchten über die angeblich unmittelbar bevorstehende Besetzung von Tripolis durch Frankreich, die sür Italien nach der Occupation Tunesiens allerdings verhängnißvoll werden könnte, ist von Anfang an mit Recht kein Glauben geschenkt worden. Die Franzosen wissen selbst zu gut, welch' gewagtes Spiel sie unternehmen würden, falls sie in Nordafrika plötzlich die Kriegsfackel entzündeten. Sie verhehlen sich nicht, daß die Tripelallianz dann zur Bethätigung gelangen würde, und daß zugleich für England der psychologische Moment gekommen wäre, in dem es interveniren müßte, falls Frankreich ihm nicht in Aegypten allzu nahe kommen soll. Der französische Minister des Auswärtigen, Ribot, hat daher unlängst in der Deputirtenkammer in durchaus glaubhafter Weise alle Gerüchte, die von einer französischen Action gegen Tripolis wissen wollten, mit voller Bestimmtheit zurückgewiesen.
Das neue italienische Cabinet findet also auf dem Gebiete der auswärtigen Politik durchaus günstige Dispositionen vor. Mißlicher sind die Verhältnisse der inneren Politik, da sich schwer absehen läßt, wie die verschiedenen Fractionen sich gruppiren werden, wobei auch die Bedeutung Crispi's als Führers der Opposition in Anschlag gebracht werden muß. Gelingt es aber dem Ministerium Rudini, einen annehmbaren Finanzplan zu entwerfen, so würden die bloßen Parteistreitigkeiten jedenfalls zurückgedrängt werden. Was das für jede italienische Regierung bedeutsame Verhalten gegenüber dem Vatican betrifft, so wird angenommen, daß Rudini zwar an dem Garantiegesetze als der Grundlage der wechselseitigen Beziehungen nicht rütteln lassen, wohl aber auch hier von allen Vexationen Abstand nehmen wird. Daß Crispi der römischen Curie ganz besonders verhaßt war, könnte wohl dazu beitragen, die Stellung Rudini's in den Augen gewisser schwankenden Elemente, wie sie auch die neue italienische Deputirtenkammer aufweist, zu befestigen.
Darf der Ministerwechsel in Italien keineswegs als eine Veränderung der Frontstellung in der auswärtigen Politik angesehen werden, so bezeichnte die bereits vor mehreren Monaten erfolgte Ersetzung des liberalen Ministeriums Sagasta in Spanien durch das conservative Cabinet Canovas del Castillo im Hinblick auf dessen bewährte deutschfreundliche Gesinnung eher eine Abwendung von allzu weit gehenden Zugeständnissen an die französische Nachbarnation. In diesen Tagen haben nun in Spanien die allgemeinen Wahlen sür die Deputirtenkammer stattgefunden, die für die neue Regierung eine beträchtliche Mehrheit ergeben haben, da nicht weniger als 289 ministerielle Candidaten als Sieger aus dem Wahlkampfe hervorgegangen sind, während die verschiedenen Parteigruppen der Opposition nur 154 Mandate zu erlangen vermochten. Ueberdies weist die letztere eine so buntscheckige Zusammensetzung auf, daß an ein geschlossenes Vorgehen gar nicht gedacht werden darf. Verhältnismäßig am stärksten tritt die von dem früheren Conseilpräsidenten Sagasta selbst geführte Linke in die Cortes ein, da sie sünfundneunzig Mitglieder zählt, während Romero Robledo nur eine Gefolg-