Heft 
(1879) 26
Seite
202
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ME?

Anton Rubinstein.

von

l). Ehrlich.

Berlin.

st das gesteigerte und immer sich mehrende Bedürfnis; nach unmittel­barster Aufregung die Ursache der übergroßen Vorliebe für Musik, bei welcher alle anderen Künste vernachlässigt oder doch viel

weniger beachtet bleiben? Oder ist die Tonkunst in der That ein so übermächtiges kulturhistorisches Moment, daß es alle anderen zurück­drängt: hat sie eine derartige ethische Bedeutung, daß ihre Pflege die der anderen Künste entbehren läßt, so zu sagen dieselbe mit in sich einschließt? Diese Fragen drängen sich jedes Mal hervor, wenn man irgend welcher bedeutenden Erscheinung in der Musikwelt Betrachtungen widmen will. Sie hier zu erörtern ist schon deshalb nicht möglich, weil diese Studie glücklicher­weise mit einem wirklichen Wesen von Fleisch und Bein zu thun hat, das thatsächlich componirt und Clavier spielt, während jene Fragen ans dein Abstrakten größtentheils wieder in Abstraktes gelangen, und an den Thatsachen kein Jota ändern; jeder bedeutende Künstler leistet nur, wozu ihn seine Anlagen, seine Entwicklung und in letzter Instanz seine Selbst­erkenntnis;, nicht sein Wollen, bestimmen; seine Ansichten und Absichten haben hierbei nur insofern Bedeutung, als sie aus den Anlagen und dem Ent­wicklungsgänge entspringen. Und was der Unbedeutende leistet, ist für Kunst- anschanungen und Prinzipien höchst gleichgiltig; ob er keusche Gesinnungen hegt, oder ob bacchantisches Feuer in seinem Busen lodert, er komponirt und spielt darum nicht besser. Er wird je nach seinen Neigungen, vielleicht auch nach seinen Interessen, dort hypokritisch der Tugend, der Gesetzlichkeit huldigen, oder hier cynisch die Natur des Menschen und deren Befreiung vom Conventionellen mit großer Emphase verkündigen; sein künstlerisches Können wird darob weder dort noch hier gehoben.