Heft 
(1879) 26
Seite
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1s. Ehrlich in Berlin.

schlug mächtig durch, sein Clavierspiel entzückte die Hörer, und sein Ruf erscholl aller Orten. Man war erstaunt über die Schaffenskraft des jungen Meisters, der vier und zwanzig Jahre alt, bereits so Nieles und darunter so Bedeutendes componirt hatte, inan pries den Fluß und die Eigenthümlichkeit seiner musikalischen Gedanken, die Vielseitigkeit seines Talentes, das sich in verschiedenartigsten Gattungen mit Leichtigkeit und Glück belvegte, das ernste und gehaltvolle Trios, originelle und von warmer Empfindung zeugende Lieder und brillante zierliche Salonstücke schuf. Und allgemein stand die Ueberzeugnug fest, daß er noch sehr Bedeutendes, Einheitliches, Großes schaffen würde. Wir wollen später darlegen, warum sein Ruf als Pianist immer mehr wuchs, während der des Cvmponisten nicht in demselben Maße zunahm.

Rubinstein verweilte damals etwa zwei Jahre in Deutschland, kehrte daun nach Petersburg zurück, besuchte aber bald wieder den Schauplatz seiner ersten Triumphe und führte neue Eompositioucn vor, unter denen mehrere Lieder, wir nennen beispielsweiseAsra" undGelb rollt mir zu Füßen" seither in allen Eoncertsälen und Mnsikzüumcru widerhallen und nicht mehr ver­schwinden werden. Im Jahre 1857 ging er nach Paris, und dort errang er die glänzendsten Erfolge. Sein 6-ckne Concert fand begeisterte Aufnahme und sicherte ihm den Ruf als genialer Evmponist. DiePhilharmonische Gesellschaft" und dieAnmioal Enionch die beiden bedeutendsten Eoneert- Vereine Londons jener für Orchester-Werke, dieser für Kammermusik beeilten sich, die Mitwirkung des berühmten jungen Künstlers zu gewinnen; er kam im Juni 1857 und fand auch in der englischen Hauptstadt wärmste Anerkennung, trotz der eigenthümlichen Gegnerschaft des sehr einflußreichen Berichterstatters derTimes", der ihn heftig angriff, wogegen der eben so geachtete desAthenaeum" nur Worte des Preises für ihn hatte. In London ist jenes II-cknr-Trio entstanden, dessen erste drei Sätze zu den frischesten Compositionen Rubinstein's gehören; er spielte es kaum war noch die Tinte getrocknet in der Nimien! Union, das Scherzo mußte wiederholt werdeu; (die Engländer sageneneoiecl" nach dem französischen onooro)*). Trotz seiner Erfolge fühlte er sich damals nicht sehr behaglich in der Themsestadt. Er kam aus Paris, aus der Stadt, welche dem Künstler, der ihr gefüllt, die größten Annehmlichkeiten bietet, in welcher die hervorragendsten Persönlich­keiten aller Kreise ihm persönlich näher treten, in welcher also die angenehmste gesellschaftliche Stellung ihm als schönster Lohn für seine Leistung geboten wird. London dagegen ist die Stadt, die den Ruhm und die bedeutende Leistung zuerst bezahlt, und erst nach und nach sich herbciläßt, der Persönlich­keit näher zu treten. Selbst der berühmteste und bestempfohlene Künstler wird erst nach öfterer Wiederkehr Aufnahme in die Gesellschaft finden. Nur sehr Wenigere war es vergönnt, daselbst eine feste Stellung zu gewinnen; nach Mendelssohn, dessen Eompositionen gleich bei ihrem Erscheinen den Engländern

*) Der Verfasser berichtet als Augenzeuge.