Heft 
(1879) 26
Seite
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brachte seinenThurm von Babel" zur Aufführung, dann ging er nach Amerika; die großen und reichen Clavierbauer in New-Jork Steinway L Sons hatten ihm eine sehr bedeutende Summe zugesichert, wenn er auf ihre;; Flügeln concertiren wollte, und er nahm den Antrag an, um, wie er sagte, eine Summe für seine Familie zurückzulegen und dann nur der Composition großer Werke sich widmen zu können. Im Jahre 1874 ist er nach Europa zurückgekehrt; 1877 ging er nach London, wo er eine ganz außer­ordentliche Aufnahme fand, und in den letzten zwei Jahren hat er Deutschland und Paris besucht; im Sommer geht er immer nach Rußland, wo er in der Nähe von Petersburg eine schloßartige Villa besitzt und mit Muße und Ruhe arbeitet. In Rußland war auch Alles geschehen, um ihn an das Vaterland zu fesseln. Als er im Jahre 1868 seine officielle Stellung aufgab. ernannte ihn der Kaiser zum Ritter des Wladimirordens. Diese hohe Aus­zeichnung ist mit dem erblichen Adelsrang verbunden, und nur mit Genehmigung des Ordenskapitels verleihbar; der große Künstler fühlte sich verpflichtet, seinen Dank durch das Versprechen kund zu geben, daß er nie einen andern bleibenden Wohnsitz nehmen würde, als im Vaterlande.

Die Thätigkeit, welche Rubinstein in den letzten zehn Jahren als Componist entwickelt hat, während er gleichzeitig die aufregendsten Concertreisen durch­führte, ist eine wahrhaft riesige zu nennen. Neben einer großen Anzahl von ein- und mehrstimmigen Liedern und einer Masse von kleineren Compositionen für Clavier sind in dieser Periode entstanden: Drei OpernMaccabäer", Dämon" (russisch) undNero" (der nächsten November in Hamburg aufgeführt wird); die großeSymphonie Dramatique", zwei große Clavierconcerte, ein Violoncelloconcert, ein Quartett für Piano und Streichinstrumente, ein Trio desgl., eine Fantasie für Clavier und Orchester und noch andere. Wir sind nun an dem Punkt angelangt, wo wir uns mit dem Componisten Rubinstein und seinen Werken beschäftigen können, ohne alle weiteren Nebenbetrachtungen über Einflüsse und Neigungen.

Wer sich die heutzutage nicht leichte Aufgabe stellen will, irgend welche Compositionen mit vorurteilsfreiem Auge zu prüfen, wer seine künstlerische Meinung nicht von Partei-Tendenzen regeln läßt, und sich eine gewisse Zeit nimmt, um die Werke Rubinsteins zu prüfen, der wird finden, daß eine Fülle von Schönheiten darin enthalten ist; allerdings liegen diese oft zerstreut wie edle Metalle zwischen dem Gestein; aber wir denken, obgleich viele Leute Silber von wenigem Gehalte hoch schätzen, wenn es nur recht hübsch gearbeitet ist, so wird der Kenner doch das echte Gold höher achten, wenn es auch erst aus unedleren Beimischungen hervorgeholt werden muß. Man kann uns vielleicht entgegnen, daß bei einem Kunstwerke der richtigen Arbeit, der Form ein sehr wichtiger Antheil gebührt, den man nicht außer Acht lassen darf; und daß ein gut und einheitlich gearbeitetes Werk ohne tieferen Gehalt oft mehr künstlerisches Wohlgefallen erzeugen kann, als eines, das besondere einzelne Schönheiten bietet, aber ungleich ausgeführt ist; daß auch dem Publicum nur