Ist Ehrlich in Berlin.
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zugemuthet werden darf, ein Werk in seiner Gesammtheit zu erfassen, nicht aber, daß es Alles erkenne und schütze, was nur der Forscherblick des Kenners zu entdecken vermag. Wir wollen auch hier nicht behaupten, daß alleCompositionen Rubinsteins unbedingte Anerkennung verdienen, dagegen aber sehr stark betonen, daß viele derselben größere Anerkennung verdienten, als ihnen von mancher kompetenten Seite zu Theil geworden ist; daß manche seiner Com- positivueu entschieden mehr Schönes als Schwaches enthalten, und daß wenn sie von einem Componisten stammten, der einer entschiedenen Partei augehörte, ihr Ruhm weit getragen und ihre Schwächen geschickt bemäntelt würden, während sehr oft das Gegentheil vorkommt. Das Talent Rubinsteins ist ein eigenthümliches, Poesie- und schwungreiches. Die meisten seiner größeren Werke enthalten überraschend frische, fest gegliederte oder liebliche gesangreiche Motive. Mau begegnet vielfach dem gewichtigen Zeugnisse, daß ein Geist thätig ist, der nicht mit geschickter und angenehmer Mache Effecte zu erzielen bestrebt ist und versteht, sondern mit urwüchsiger Kraft der Erfindung eigene Gedanken erzeugt und sie in der Form wie sie ihm kommen, entschieden und prüfungslos zu Tage fördert. So wenig er in der Mache besondere Stärke entfaltet, so weit ist er auch entfernt, durch Combinatiou überschwänglicher Harmonie, durch wilde hastige Rhythmen, scharfe Accente und sähe Tvnartwechsel im Hörer jenen Nervenreiz hervorzurufcn, bei welchem das eigentliche künstlerische Urtheil durch Gefangennahme der Sinne beeinträchtigt wird. Er wirkt am meisten durch seine Melodien und durch klare Harmoni- sation. In Beiden steht er in seinen besseren Werken Mendelssohn am nächsten, in den Liedern hat er allerdings eine ihm ganz eigenthümliche Gattung geschaffen, in welcher seine Erfolge überall und unbestritten sind, obwohl einige exclusive berühmte Sänger sie nicht in ihr Pogramm ausgenommen haben. In manchen seiner Werke hält der Reichthum der Phantasie, die Orgiualitüt der Gedanken gleichen Schritt mit der Formgestaltung; beispielsweise seien hier angeführt die Sonate in ^-uroll für Clavier und Violine, die meisten Sätze der Scean-Symphonie, die sehr schöne Sonate für Clavier und Viola, das Quartett für Clavier und Streichinstrumente in O-ckur, der erste Satz, das Scherzo und das Finale der Symphonie Dramatique, dessen Motiv von großartiger Schönheit und ganz neu ist, der erste Satz und das Scherzo aus dem K-ckur-Trio, und die meisten Sätze aus einer Suite (Op. 38), zehn Stücke, 1855 in Biebrich binnen 14 Tagen componirt, voll geistreicher origineller Motive und fast durchweg vortrefflich gearbeitet. Sein Quartett in Ist ist selbst von Joachim der Vorführung würdig gehalten worden. Sein Octett bietet viele überraschende originelle und gut ausgeführte Gedanken. Sein „Thurm von Babel" enthält Schönheiten, welche bei der Ausführung in Düsseldorf selbst das im Allgemeinen schwierige und mißtrauische Publikum der rheinischen Musikfeste zu lautestem Beifalle hinriß. Ein Tondichter, der Solches geschaffen hat, verdient wohl eine andere Beachtung, als ihm von mancher Seite zugestanden wird. Als Operucomponist hat