Heft 
(1879) 26
Seite
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Anton Rubinstein.

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Rubinstein einen allgemeinen großen Erfolg, wie seine Opern-Symphonie und die dramatische Symphonie erlangte, noch nicht verzeichnen können; aber der eine glänzende und andauernde Erfolg, den er mitdie Maccabäer" in Berlin errungen, und die warme Theilnahme, die auch seinFeramors" daselbst gefunden, sind Zeugen, daß er auch in dieser Richtung zu sehr Be­deutendem berufen ist; dieMaccabäer" enthalten viele großartige dramatische Momente nud schöne Melodien;Feramors" ist rein lyrisch gehalten. Daß in Beiden eine gewisse Vorliebe für die orientalische Gesangsweisen hervortritt, die im Liede oft zauberhaft wirken, dagegen in der Oper leicht Einförmigkeit erzeugen, kann nicht geleugnet werden; aber man soll doch auch die Schönheiten nicht ignoriren, die nicht in der erwähnten Form erscheinen, es sind deren noch immer genug in beiden Opern vorhanden, um von Rubinstein sehr Bedeutendes erwarten zu lassen. Hervorzuheben ist auch, daß Rubmstein in beiden Opern niemals auch nur die leiseste Annäherung an Richard Wagner zeigt, dessen Richtung doch in diesem Augenblick die Bühnencomponisten beherrscht, dem sie bewußt oder unbewußt Alte Nachfolgen! Fest und ohne Wanken schreitet Nubiustein in den Opern seine eigene Bahn, und schon bei der Aus­führung desFeramors" in Wien bemerkt Ed. Hanslick, diese Oper ist so componirt, als Hütte niemals eine Wagner'sche existirt! Wir wollen das nicht enva als ein ganz besonderes Lob anführen, wohl aber als einen Beweis für die Selbständigkeit des Rnbiustein'schen Talents. Von der Fruchtbarkeit seiner Muse kann man nur eine Vorstellung gewinnen, wenn man den Katalog seiner Eompositionen durchsieht. Er hat bis setzt 102 Werke veröffentlicht. Unter diesen sind viele in einzelne kleinere Stücke (Lieder und Clavierstücke) getheilt, welche für sich allein nach einer flüchtigen Berechnung 257 Nummern betragen; dann vier Symphonien, fünf Concerte für Piano, Quartette, Sonaten und lauter größere Werke, die einzelne Theile enthalten; zwei große Oratorien:das verlorene Paradies" undThurm von Babel"; end­lich sind die Opern in den mit Zahlen versehenen Werken gar nicht mit mbegriffen! Wahrlich, solche Schaffenskraft, solcher Schaffensdrang mit der angestrengtesten Thätigkeit des Virtuosen vereinigt, ist eine merkwürdige Erscheinung!

Aber es ist auch das Verhängniß des Componisten Rubinstein, daß der Pianist Rubinstein gar so wundervoll Clavier spielt! Die außerordentlichen Erfolge, welche dieser überall erlangt, müssen jenen in Schatten stellen. Und das ist ganz naturgemäß! Der ausführende Künstler wirkt unmittelbar, nur der Augenblick entscheidet; im nächsten sind die Töne des Stückes für immer verklungen und das Urtheil, das nicht sofort gefällt worden war, hat auch keine Geltung mehr, der kühlste Kritiker kann nur über den unmittelbaren Eindruck berichten und daraus seine Schlußfolgerungen ziehen. Die Erfolge des Virtuosen hasten auch zum Theil an seiner Persönlichkeit; die äußere Erscheinung, die gesellschaftlichen Beziehungen, die Theilnahme der Frauen, also viele Dinge, die mit der künstlerischen Leistung nicht im Zusammenhänge