Anton Rubinstei n.
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viel zu erwerben, daß er in unabhängiger Muße und mit voller Sammlung die großen Werke, die er in seinen Gedanken rrägt, aussühren, die Virtuoserllausbahn ganz aufgeben könne. Ich habe schon vor neun Jahren in einem kleinern Artikel Zweifel dahin geäußert, daß er über sich gewinnen werde, die glänzenden Triumphe und Einnahinen des Virtuosen aufzugebeu und die in jeder Hinsicht mühsamere Laufbahn des Compouisten allein einzuhalten, und meine Zweifel erwiesen sich als gerechtfertigt. Dagegen glaube ich heute die sichere Hoffnung aussprechen zu dürfen, daß er nach und nach die Ruhe und Selbstbeherrschung gewinnen wird, um seine hohen Gaben zu Einheitlichem und Hochbedeutendem zu concentriren. Ein Künstler, der es vermochte, mitten in einem so bewegten Virtuosen-Leben Compositioneu zu schassen, wie die oben angeführten Opern und größeren Jnstrumentalwerke, denen selbst der Voreingenommene bedeutende, großartige Einzelheiten nicht absprechen kann, der muß zuletzt zur Erkenntnis; seiner selbst durchdrungen und die Hindernisse, die sich ihm aus dem Wege zum höchsten Ziele entgegenstellen, siegreich überwinden. Rubinstein befindet sich momentan in den: Uebergangsstadium der Ueberzeugnng; er schreibt den geringeren Erfolg seiner Compositionep dem Umstande zu, daß er nicht eine Partei hinter sich hat, wie Brahms und Wagner, und daß er als der große Elaviervirtuose wirken müsse, um dem Compouisten Eingang im Publikum zu verschaffen. Was die Parteibildung betrifft, so ist schon oben dargelegt worden, wie weit dieselbe als maßgebend, als ans die Dauer entscheidend anzunehmen sei. Jedes Uebermaß trägt den Keim des Gegensatzes in sich; für Unbedeutende mag es sehr nützlich und nothwendig sein, einer Partei anzngehören, und ans dieser heraus ein Parteichen für sich zu gewinnen; der Bedeutende wird durch Ausdauer und Energie auf die Dauer langsamer, aber sicherer weiter kommen und festeren Fuß fassen, als mit Hülse der Partei. Allerdings eine Partei muß jeder Künstler gewinnen: ein überzeugtes Publicum, eine Masse von Leuten, in welchen seine Werke einen künstlerischen nachhaltigen Gesammteindruck erzeugen, aber für die Bildung dieser Partei ist die Leistung doch der einzige Hebel; oder hätte Wagner ohne „Lohengrin" seinen Ruhm, wäre Brahms ein so Vielgepriesener ohne sein Sextett, ohne sein Deutsches Requiem, ohne sein Schicksalslied? Und wenn der Verfasser dieser Studie für die letztgenannten Compositioneu eine große Verehrung hegt, ohne sich der Partei anzuschließen, darf es Wunder nehmen, wenn die Partei auch das, was Andere nicht so hoch schätzten, als Meisterwerk proclamirt? wenn er Manches im Nibelnngen-Ring zu den großartigsten Tonschöpfungen rechnet, gegenüber anderen Stücken derselben Tetralogie seine volle Unabhängigkeit wahrt, muß er nicht eiugestehn, daß eben die großen Leistungen die Parteibildung erklären? Wenn Rubinstein die Schönheiten, welche er zwischen die verschiedenartigsten Werke gestreut hat, in zwei oder drei Werke einheitlich zusammengesaßt hätte, dann würde er wohl heute schon eine große Partei für sich zählen, denn an Freunden fehlt es ihm, dem so hoch interessanten und liebenswürdigen Menschen, gewiß nicht. Daß der Clavier-