Heft 
(1879) 26
Seite
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-lieber den gegenwärtigen Stand der Pestfrage. - 253

Allem auf die so vielfach constatirte Erfolglosigkeit einer strengen Absperrung, Jsolirung, innerhalb einer von der Pest ergriffenen Stadt hinzuweisen. Es liegen derartige Beobachtungen besonders aus dein 19. Jahrhundert in reicher Auswahl vor, die hervorragenden Gegner des Contagionismus, Pruner, Clot Bey u. A., haben sie in großer Menge gesammelt: doch wollen wir den Werth derselben nicht 'allzu hoch anschlagen, da 'ja immerhin ein vielleicht heimlicher Verkehr stattgefunden haben kann. Wird ja andererseits von den wissenschaftlichen Vertretern des Coutagiumstandpunktes jenen Experimenten, die angeblich eine Uebertragung durch Impfung, durch Kleider Pestkranker hervorriefen, keinerlei Werth beigemessen. Will man nämlich auch aus« gehend von dem Grundsätze, daß ein Positives Resultat tausend negative überwiegt davon absehen, daß nur in der Minderzahl der Fälle das Experiment von Erfolg begleitet war, so muß dagegen bestritten werden, daß hier überhaupt positive Resultate vorliegen, da ja zu Zeiten einer allgemeinen Epidemie immer wieder die Frage offen bleibt, ob denn nicht in diesen scheinbar gelungenen Fällen der Uebertragung die Jufection ganz unabhängig von dem Experimente aufgetreten war, wie dies eben bei tausend anderen zur selben Zeit Erkrankten der Fall war. Als positiv könnte in diesen Fällen nur die zufällige Coincidenz der Jnfectiou und der Operation angesehen werden.

Wichtiger sind jedoch jene Vorkommnisse, wo trotz ununterbrochenen Verkehrs, trotz häufigster, unmittelbarer Berührung keine Jufection, keine Ausbreitung der Pest stattfand. In diese Kategorie gehört vor Allen: jene schon der: beiden bereits citirten Autoren Procopius und Evagrius auffallende Erscheinung, daß Aerzte und Wärter von Pestlazarethen, denen ja, wie Nie­mand Anderem, Gelegenheit zur Ansteckung geboten ist, im Verhültniß nicht mehr, nicht häufiger ergriffen werden, als die übrige Bevölkerung, sogar relativ verschont bleiben. Wir begegnen diesen Beobachtungen von

der Pest des Justinian an bis in die allerneueste Zeit.

Vom gleichen Gesichtspunkte aus muß das Verhalten der Pest auf Schiffen betrachtet werden. Wenn irgendwo, wäre ja hier für eine nur durch directe Uebertragung sich fortpflanzende Krankheit die beste Gelegenheit zu auf einen engen Raum beschränkten Epidemien gegeben. Wol sind die Nachrichten über das Umsichgreifen der aus ein Schiff eingeschleppten Pest nicht zahlreich, aber die wenigen zeigen doch ein auffallendes Freibleiben der Schiffsmannschaft, trotz stattgefundener Einschleppung, so daß dieses Verhalten der Pest es war, welches Clot Bey, einen französischen Arzt, zuerst zu Zweifeln an der contagiösen Natur der Pest anregte. So wird denn auch von Gregson aus dem Jahre 1835, wo eine heftige Pestepidemie in Alexandrien herrschte, berichtet, daß in der Zeit ihres größten Wütheus mehrere eingeschleppte Pestfälle unter der Schiffsmannschaft der dort stationirten Flotte sich zeigten. Alle Eontagioniften prophezeiten damals der Flotte ein trauriges Schicksal und trotzdem blieb die übrige Schiffsmannschaft gesund und pestfrei.