Heft 
(1879) 26
Seite
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lieber den gegenwärtigen Ltand der jpestfrage. 235

verschleppt wurde, ohne daselbst zu einer epidemischen Ausbreitung Veran­lassung zu geben. Es giebt derartige Gegenden, die überhaupt bisher für die Pest unempfänglich waren. Schon während des schwarzen Todes wurden einzelne Städte genannt, die gänzlich verschont blieben, trotzdem ringsum die Pest wüthete, und die Vorsichtsmaßregeln der betreffenden Städte weder bessere, noch besser gehandhabte waren, als die anderer insicirter Orte. So blieben Maara el Nooman in Syrien, Schizour und Harfem in Mesopotanien, ferner Arragon pestfrei.

Charakteristisch für diese Erscheinung ist das Verhalten eines Berges fünf französische Meilen von Constantinopel entfernt, Alem Dag genannt. Unweit des Gipfels befindet sich ein kleines Dorf, wohin zur Zeit einer heftigem Pestepideinie in Constantinopel viele armenische Familien sich flüchten und hier in Zelten ihre Wohnung aufschlagen. Trotzdem nun ein lebhafter Verkehr mit Skutari unterhalten wird, schon wegen der unerläßlichen Zufuhr von Lebensmitteln, trotzdem oft Pestkranke selbst hingeschafft werden, soll sich dort doch niemals die Pest in epidemischer Ausbreitung gezeigt haben; sie verlischt, wenn eingeschleppt, vollständig. Ein eine halbe (französische) Meile tiefer gelegenes Dorf erfreut sich jedoch nicht mehr derselben Immunität; hier hat sich die Pest, obwol selten, doch einige Male gezeigt.

Auch Malta besitzt eine Localität, die ein ganz ähnliches Verhalten dar­bietet. Es ist ebenfalls ein Berg, der als Zufluchtsstätte benutzt wird, und auf dein sich die Pest noch niemals gezeigt hak. Dieser Eigenthümlichkeit halber, wird er auch Safi (der gesunde) genannt.

Analoge Beobachtungen liegen bezüglich der Citadelle Cairo's und anderer Localitätcn vor; es gehört in dieselbe Kategorie auch die Erscheinung, daß Epidemien oft durch Ortswechsel zum Stillstände gebracht werden können, wie sich dies besonders bei den militärischen Dislocationen in Aegypten zur Zeit der französischen Invasion wiederholt gezeigt hat. Eine Erklärung aller dieser Thatsachen bei Annahme der Contagiosität ist kaum möglich; wir sehen hier das Freibleiben oder Freiwerden einer ganzen Bevölkerung, einer ganzen Truppe, der es gewiß nicht an individueller Disposition zur Erkrankung fehlt, wir haben alle Mittel und Wege, um die Ausbreitung der Krankheit zu befördern, die unmittelbare Uebertragung zu bewerkstelligen; wenn diese llebertragung wirklich so direct vom Erkrankten aus (eventuell auch durch dritte Personen) stattfände, warum bleiben die genannten Orte verschont, warum erlischt die Epidemie bei dem Ortswechsel? Es führen uns diese Erwägungen mit zwingender Nothwendigkeit dazu, anzunehmen, daß der Krankheitskeim erst außerhalb des Organismus gewisse Bedingungen vorfinden muß, welche seine specifische Entwickelung und Vermehrung begünstigen oder ermöglichen, erst dann kann eine Infection in größerem Maßstabe, eine Epidemie eintreten.

Welches sind nun wvl diese Bedingungen? Es ist von großer Wichtigkeit^ bei der Feststellung derselben nicht einseitig vorzugehen, und nicht etwa blos einen zufällig vorhandenen Factor herauszuheben, und diesem allein die