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Isidor §oyka in München.
Ein weiteres Moment, das ja auch bei andern Jnfectionskrankheiten, besonders den von localen Verhältnissen abhängenden, eine wichtige Rolle -spielt, tritt uns entgegen in der Verunreinigung des Bodens mit Abfällen des menschlichen Haushalts, in den ungünstigen hygienischen Verhältnissen der Städte, Häuser, besonders wenn sich auch sociales Elend, Mangel, Wohnungsüber- sllllung re. hinzugesellt. Wenn wir vielleicht auch nicht allzuviel Gewicht darauf legen wollen, daß wol alle Pestordnungen, besonders die etwas neuern Datums, vom sechszehnten Jahrhundert an, die Fortschaffung des Anraths als eine Hauptaufgabe der Prophylaxe ansehen, so muß uns doch jedenfalls auffallen, daß schon zur Zeit des schwarzen Todes und von da an auch immer wieder constatirt wird, die Pest habe am ärgsten in engen, schmutzigen Quartieren gehaust, oder hätte meist dort ihren Ursprung genommen und sich von da aus verbreitet.
Hervorgehoben sei nun nochmals, daß alle hier aufgezählten Momente, einzeln genommen, nicht als die vollständigen, hinreichenden Bedingungen zur Ausbreitung einer Epidemie angesehen werden dürfen, hierzu gehört ein gewisses zeitliches Zusammentreffen verschiedener Momente, wie etwa Durchtränkung eines porösen Bodens mit Schmutz bei einer gewissen Feuchtigkeit und Temperatur w. In diesem zeitlichen Zusammentreffen liegt dasjenige Hilfs-Moment, das wir mit dem Ausdrucke zeitliche Disp ositio n benennen, und das uns die einzige Erklärung giebt dafür, daß in so vielen Epidemien einzelne Städte, Ortschaften trotz Einschleppung eine Zeit lang von der Pest verschont blieben, förmlich übersprungen wurden, bis dann in einem spätem Zeitpunkt der Pestepidemie auch sie befallen wurden.
Indem wir schließlich die Resultate, die sich aus dem Studium der Geschichte der Pestepidemien ergeben, zusammenfassen, können wir sagen: Es
liegen bereits jetzt so viele und sichere Thatsachen vor, daß an der Hand dieser allein schon die Pest in jene Kategorie von Jnfectionskrankheiten einzureihen ist, in welcher auch der Abdominaltyphus, die Cholera, das gelbe Fieber ihren Platz gefunden, d. h., daß es zum Zustandekommen einer epidemischen Ausbreitung der Pest zweier, respective dreier Factoren bedürfe. Vor allem der Einschleppung des Krankheitskeimes, sodann aber der örtlichen und zeitlichen Disposition, d. h. jener außerhalb des menschlichen Organismus liegenden Momente, die zur Vermehrung, zur specifischen Entwicklung des ektogenen Krankheitskeimes nothwendig sind.
Man wird nun wol fragen: Haben wir durch diese Erkenntnis; auch
einen praktischen Vortheil, werden die Epidemien hierdurch seltener und milder gemacht werden können? Es wäre für die Achtung, die man vor der Wissenschaft hegt, und die doch im Allgemeinen meist nach ihren praktischen Erfolgen sich richtet, nicht gerade günstig, wenn wir die Frage verneinend beantworten müßten. Glücklicher Weise ist dem aber nicht so, wir sind im Stande zu zeigen, wie wir von diesen Gesichtspunkten aus in der Lage sind, Vorkehrungeil gegen die Pest zu treffen, die Aussicht auf Erfolg haben.