Die staatliche und sociale Entwickelung Japans. 257
Adel, die ehemaligen Samurai, erhielten zwar bisher noch ihre erblichen Jahrgehälter — seit einigen Monaten sind sie durch Capitalisirung abgelöst worden — haben aber vor dem übrigen Volk keine Prärogative mehr voraus, ausgenommen, daß sie bei Verurteilungen mit milderen Strafen belegt werden; irgend welche ständische Vertretung haben sie nicht.
Die einzigen Berather des Kaisers sind die „Sangi" oder Mitglieder des Kabiuets, die gleichzeitig die Leitung der einzelnen Ressorts der Staats- Verwaltung unter sich vertheilt haben. Sie sind sämmtlich durch freie Entschließung des Kaisers in ihre Stellungen berufen, und gehören dem Samurai- Stande an; die beiden Conseilsprüsidenten jedoch, Sandjo und Jwakura, sind Hosadlige. Wie schon an einer andern Stelle angedeutet worden, konnten die großen Staatsämter nach der alten Verfassung nur von Hofadligen bekleidet werden, und zwar war unter diesen selbst wieder die Fähigkeit zur Bekleidung gewisser Aemter durch Herkommen auf ganz bestimmte Kreise beschränkt. Daß dieser Bevorzugung der Hofadligen ein Ende gemacht wurde, entsprach vollständig dem fortschrittlichen Charakter der Restauration. Ob die beiden Stellen des ersten und zweiten Conseilspräsidenten ebenfalls in der Folge den Hofadligen verloren gehen werden, ist eine Frage, deren Lösung aus die Geschichte Japans vom größten Einfluß sein wird.
Während der Herrschaft der Taikune hatten sich die Kaiser in die ihnen aufgedrungene geistliche Würde so hineingelebt, daß sie sich um die weltlichen Dinge übrhaupt nicht mehr bekümmerten, sondern deren Besorgung ihrer Umgebung, den: Hofadel, überließen. Die Vergötterung, die ihnen zu Theil wurde, hatte sie, möchte man sagen, so vergeistigt, daß sie für die Welt todt waren; von allen Kaisern der letzten Jahrhunderte, hat, wie es scheint, der Vater Des jetzigen, Komei Tenno, allein eigenen Willen und Interesse an der Regierung gezeigt. Dieser Thatsächlichkeit entspricht nun auch die Vorstellung, welche dem Volke über die Regierungsthätigkeit des Kaisers innewohnt. Es betrachtet ihn als ein göttliches Orakel, und seine Umgebung, die Hosadligen, als die Priester, die seine Sprüche entgegennehmen und deuten. Eine Folge dieser Auffassung ist der jetzt noch geltende Gebrauch, daß die kaiserlichen Edicte niemals unter des Kaisers Namen, sondern von: ersten Conseilspräsidenten promülgirt werden, und zwar in einer solchen Form, daß nur aus dem sprachlichen Ausdruck hervorgeht, daß sie vom Kaiser kommen. Auch soll durch diese Einrichtung verhindert werden, daß die Majestät des Herrschers allzuleicht durch Ungehorsam entweiht werde; lehnt sich das Volk gegen kaiserliche Edicte auf, so klagt es nie den Kaiser an, sondern seine ersten Minister, daß sie den kaiserlichen Willen falsch iuterpretirt haben.
Die jetzigen beiden Conseilspräsidenten, Sandjo und Jwakura, sind solche Repräsentanten des kaiserlichen Willens; der alten conservativen Partei der Hofadligen angehörend, haben sie ihre Ideen in soweit modisicirt, daß sie eingesehen haben, daß eine wirkliche Wiederherstellung der alten Theokratie dem Zeitgeiste nicht mehr entspricht. Sie haben sich daher mit der jung-
Rord und Süd. IX, 26. 18