Zwei Fragen, die nicht brennen.
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und auch iu gewissem Grade in seiner Pflicht als Staatsmann. Fürst Bismarck, wie jeder denkende und conservative Staatsmann, muß empfinden, daß die größeren Bedürfnisse des modernen Staates ldurch directe Besteuerung nicht zu befriedigen sind, ohne entweder Confiscation des Vermögens, oder diejenige Belastung des Individuums, die unerträglich sein würde, herbeizuführen.
Das Bestreben der Demagogie in allen Ländern, directe Steuern einzuführen, geht von der Ueberzeugung aus, daß dadurch diejenige allgemeine Unzufriedenheit erregt wird, welche zur Erreichung ihrer Ziele erforderlich ist; in gleicher Weise führt das instinctive Gefühl Derjenigen, die ein Ver- ständniß für die Bedürfnisse und Liebe für die Erhaltung des Staates haben, zu der Ueberzeugung, daß die Staatseinkünfte womöglich aus indirecten Quellen fließen müssen.
Fürst Bismarck benutzt daher den momentanen Stand unserer Finanzen, der doch wesentlich den vorübergehenden Stockungen im Handel und Industrie zuzuschreiben ist, um die Beschaffung neuer Staatseinnahmen zu motiviren. Ta er aus die Gewährung dieser Mittel nicht ohne Weiteres rechnen zu können glaubt, so hat er zu gleicher Zeit die Bombe des Schutzzolles unter die Parteien geworfen, um diese zu desorganisiren und sich eine Majorität durch die Anregung von Specialinteressen zu sichern.
Es ist die Ausgabe des Staatsmannes mit Factoren zu rechnen, und so kann man von diesem Gesichtspunkte aus den Fürsten Bismarck nicht tadeln, wenn er diesen Weg siir die Erreichung seines Zieles wählen zu müssen geglaubt hat. Es ist aber Beruf und Pflicht der Volksvertretung, neben der Gewährung der erforderlichen Mittel auch bedacht zu sein, inwieweit der eingeschlagene Weg geeignet erscheint, die im staatlichen Interesse erforderlichen Rechte der Landes-Vertretung zu schädigen, und hier kann es nicht fraglich sein, daß es gefährlich ist, eine Zersetzung der Parteien zu begünstigen, daß es nicht rathsam ist, große Fragen aus falschen Prämissen zu erledigen, und daß es ersprießlicher sein würde, wenn jede der beiden Fragen für sich selbständig benrtheilt und behandelt würde. Im vorliegenden Falle ist dieses um so leichter, als sich durch Besteuerung einiger Gegenstände nicht nur die erforderliche Summe für die Herstellung des Gleichgewichtes zwischen Einnahme und Ausgabe, sondern auch uoch ein so bedeutender Ueberschuß beschaffen ließe, daß damit Abhülfe ans anderen Gebieten geschafft werden kann. Tabak, Spiritus, Bier, Kaffee, Thee und Zucker genügen für obige Zwecke, und hieraus hätte sich die Frage vorläufig beschränken müssen. Man wäre dann in der Lage gewesen zu fragen, wie sich die Einnahme des Staates dauernd (nicht nach der jetzt gedrückten Lage) Herausstellen würde, und wie hoch man die Besteuerung schrauben könnte, ohne durch Minder-Consumtion die Einnahme zu schädigen. Auch müßten Ermittelungen vorangehen, aus denen ersichtlich wäre, wie sich bei verschiedenen Scalen der neu einzusührenden Steuern die betreffenden Einnahmen gestalten würden.
Ob solche Ermittelungen vorhanden sind, weiß ich nicht. Dem Publicum
Nord und Süd. IX, 26. 19