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Lernen in den Klassen 5 und 6 : Werkstattheft / [Universität Potsdam. Hrsg.: Direktorium des Instituts für Grundschulpädagogik]. Wiss. Red.: Barbara Wegner
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2. Die Kinder der Klassen 5 und 6

2.1 DerÄltestenstatus

Die Zehn- bis Zwölfjährigen sind in der SchulformGrundschule die älte­sten Schüler. Ihr gesamter sozialer Status wird davon bestimmt. Lehrer, die DDR-Erfahrungen im Umgang mit 5. und 6. Klassen hatten, haben Kinder dieser Klassenstufen nach dem Abschluß der Unterstufe aber alsdie Klei­nen kennengelernt und unterrichtet, zumindest in Klasse 5. Nach Klasse 6 hin verschob sich das Bild zwar etwas, und Lehrerinnen und Lehrer erfuh­ren zum Teil recht drastisch die im Gefolge physischer und psychischer Veränderungen bei den Kindern auftretenden Unterrichtsprobleme. Ihr jet­ziger neuer Status muß dennoch von beiden Seiten, von Lehrern wie Schülern, erst erkannt und vor allem verarbeitet werden.

Älteste Schüler zu sein, das heißt

e zunächst einmal ohne jegliches eigenes Zutun einen Nimbus zugewiesen zu bekommen, der sich seit Jahrhunderten mit den ältesten Schülergruppen einer Schulform verbindet: erfahrener zu sein als die Kinder jüngerer Schuljahre und eine gewisse Macht über sie zu besitzen;

e einen natürlichen Status anzunehmen und als einzelnes oder gemein­schaftliches Subjekt danach zu handeln. Die demonstrativ auf dem Schul­weg oder unmittelbar vor dem Schulgelände gerauchte Zigarette, wo man in jedem Falle von den Jüngeren wahrgenommen wird, ist dabei nur ein winziges Indiz. Andere, viel wichtigere Indizien können Fürsorge und Hil­feleistungen für die jüngeren Schulklassen sein;

e per Wissen und Erfahrungen dichter an den Lehrerndran zu sein, um deren Stärken und Schwächen relativ genau zu wissen. Viele Probleme des Unterrichtens auf diesen Klassenstufen hängen damit zusammen, daß die Lehrer die Rolle dieser Kinder, Älteste zu sein, nicht hinreichend anneh­men, Schülerinnen und Schüler aber auch vieles tun, was Erwachsene an der Ernsthaftigkeit zweifeln läßt, mit dem die Fünft- und Sechstkläßler ihre Rolle ausfüllen. Hier stößt man sogleich auf weitere Besonderheiten.

2.2 Leben mit vielen Widersprüchen

Die Zehn- bis Zwölfjährigen befinden sich in einer schwierigen körperli­chen Entwicklungsphase. Vorpubertät und Pubertät beeinflussen zuneh­mend-: die Haltung zu sich selbst und zu den Mitmenschen. Hinzu kommt, daß Probleme der sexuellen Entwicklung nicht selten durch entsprechen­den Video-Konsum verstärkt werden. Und auch in relativ abgelegenen ländlichen Gebieten treten bereits Einzelfälle kindlicher Prostitution auf.