Hans Leutert
Lehrer-Schüler-Beziehungen und Unterrichtshandeln in den Klassen 5 und 6- alles bekannt und erforscht?
Vielleicht mag es angesichts des herrschenden"Zeitgeistes", lieber über Fragen der Evaluation oder Qualitätsstandards von Schule und empirische Befunde zu Schülerleistungen zu diskutieren, verwundern, ausgerechnet das Thema der Lehrer-Schüler-Beziehungen in die aktuelle didaktische Diskussion(wieder) einzubringen. Wenigstens diese vier Beweggründe lassen sich dafür anführen:
1.
Unterricht ist prinzipiell ein Prozeß, der in umfassendere Sozialisationsprozesse an der Schule eingebunden ist und durch das inhaltliche, methodische und soziale Handeln seiner Akteure konstituiert wird. Es ist eine konsensfähige Grundaussage gängiger didaktischer Modelle und Unterrichtskonzeptionen, daß Unterricht eine sich wechselseitig durchdringende Inhalts- und Beziehungsdimension hat. Im Unterricht werden nicht"an sich" Inhalte vermittelt bzw. Handlungen ausgeführt, sondern sie vollziehen sich immer in kooperativen und kommunikativen Situationen.
. In der Praxis vermittelt Unterricht den Kindern vielfältige Inhalte und Tätig
keiten, die besonders sozial relevant sind, wo sie eigene soziale Erfahrungen einbringen, aber auch ihre sozialen Kompetenzen ausbauen können. Auf der intentionalen Ebene gewinnen diese(z. B. Ich-Stärke, Verantwortungsbewußtsein, Teamfähigkeit) mehr an Bedeutung. Sie dürfen auch nicht ausgespart bleiben, wenn um den Inhalt von schulischer Leistung diskutiert wird.
. Die Themenstellung hat eine unmittelbare aktuelle gesellschaftliche Brisanz.
Denn wie die Kinder und Jugendlichen im Schulalltag durch demokratische Strukturen und ein demokratisches Verhältnis von Lehrern und Schülern zur "Mündigkeit" und Einübung sozialer Verhaltensweisen befähigt, gebildet und erzogen werden können, ist eine große Herausforderung für die Schule. Die Realisierung einer solchen, z. B. auf den Schulstufen durchdachten Bildungskonzeption, mit der Verbindung von Unterricht und innerer Schulentwicklung, wäre auf Dauer aus meiner Sicht erfolgversprechender, vielleicht auch kostengünstiger, als so manche der gegenwärtig in guter Absicht gestarteten politischen Sonderaktionen gegen"Gewalt an der Schule".
. Schließlich dürfen in der Diskussion die individuellen Entwicklungsperspekti
ven und die Problematik pädagogischer Stufen nicht ausgespart bleiben, weil z. B. in den Klassen 5 und 6- auch spezifische Problemlagen zu berücksichtigen sind: Entwicklungspsychologisch sind die Kinder dieser Altersstufe im als schwierig erkannten Übergang von der Kindheit zur Jugendzeit. Es gibt jedoch m.E. nur in Ansätzen eine Didaktik und Methodik, die daraus entsprechende Konsequenzen für die Gestaltung von Schule und Unterricht berücksichtigt.
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