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Lernen in den Klassen 5 und 6 : Werkstattheft / [Universität Potsdam. Hrsg.: Direktorium des Instituts für Grundschulpädagogik]. Wiss. Red.: Barbara Wegner
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Nicht selten hat man sich sogar noch in den Vorstellungen und Konzepten der Parteien und Kultusbehörden zumUmbau des Schulwesens in den neuen Bundesländern auf diese berufen.

Politisch konservative Kreise und Parteien sowie Vertreter der Kirchen und insbesondere Berufsverbände der Gymnasiallehrer verteidigten nach­drücklich die vierjährige Grundschule aus der Weimarer Zeit, indem sie mit dem traditionellen Leistungsvermögen des deutschen Schulwesens ar­gumentierten. Außerdem wurde der sechsjährigen Grundschule ein Bremseffekt zugeschrieben, den diese Schulform angeblich auf diebe­gabteren bzw. leistungsfähigeren Schüler/-innen ausübe.

Dagegen argumentierten andere gesellschaftsrelevante Gruppen wie große Teile der Volksschullehrerschaften, Vertreter der Gewerkschaften und linkspolitische Kreise und Parteien für die Verlängerung der Grund­schulzeit um zwei auf sechs Jahre, wobei sie auf die sozialintegrative Wir­kung dieser Schule und die Notwendigkeit einer Objektivierung der Über­gangsauslese zu den weiterführenden Schulformen verwiesen. Während die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg sowie das Land Schleswig­Holstein die sechsjährige Grundschule 1948/49 einrichteten, Berlin sich sogar zunächst auf eine achtjährige Grundschulzeit festlegte, ließen sich alle weiteren Bundesländer nicht von den westlichen Besatzungsmächten eine über vier Jahre hinausgehende Grundschulevorschreiben. Aller­dings widerrief ein Teil der Länder mit sechsjähriger Grundschule später seine Entscheidung bzw. nahm die Reform schrittweise zurück, da sich u.a. die Uneinheitlichkeit im Schulwesen als ein ernsthaftes Hindernis für die Bevölkerungsmobilität erwies.

Deshalb ist es durchaus verständlich, wenn in der Folgezeit der Ruf nach einer stärkeren Vereinheitlichung des allgemeinbildenden Schulwe­sens immer unüberhörbarer wurde, während die Frage nach der Dauer der Grundschule an Wichtigkeit verlor. Die bildungspolitische Diskussion in den 50er Jahren war von der pädagogischen Einsicht geleitet,daß die Frage nach der Dauer der Grundschule unlösbar ist von der Grundfrage nach der Zweckmäßigkeit des dreigliedrigen Schulsystems überhaupt und von den Problemen der inneren Gestaltung der Schuljahre 5 und 6 in be­zug auf Lernziele, Selektionsmaßnahmen, Förderung und Differenzie­rung.

Die zunächst isoliert gestellte Frage nach der Dauer der Grundschule er­hielt dadurch eine völlig neue Richtung, zumal die strukturelle, funktionale und inhaltliche Ausgestaltung der Schuljahre 5 und 6 von nun an im Kon­text der Bewährung des gesamten Schulwesens problematisiert wurde.

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