Teil eines Werkes 
Bd. 1 (1911) J. J. Rousseau
Entstehung
Seite
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Die Bekenntnisse als Schrift eines Angeklagten.

historiker sich die nöthigen positiven Kenntnisse zu verschaffen suchen, oder er muss dem sachverständigen Arzte das erste Wort lassen. Neuerdings hat man, besonders von Genf aus, viel Gewicht auf Archiv­Forschungen gelegt. Ich verkenne den Werth solcher Feststellungen nicht, aber das Ergebniss ist doch recht gering, und im Lichte der psychiatrischen Erkenntniss verlieren viele der Correcturen ihre Bedeutung, da Einzelheiten, die für den Gesunden wichtig sein mögen, oft ganz gleichgiltig werden, sobald die Geisteskrank­heit des Betroffenen festgestellt ist. Auf jeden Fall ist die sachverständige Beurtheilung des Ganzen das Erste, die historische Genauigkeit kommt erst nachher.

Die Meisten kommen zu Rousseaus Person dadurch, dass siedie Bekenntnisse lesen. Diese aber werden einzig und allein dann verständlich, wenn man ihren Zweck kennt. Die Bekenntnisse sind die Vertheidigung­schrift eines Geisteskranken. Als Rousseau sie nieder­schrieb, litt er anParanoia, und er wollte durch unbedingt wahrhafte Darstellung seiner Person und seiner Lebens­geschichte die Vorwürfe widerlegen, die nach seinem Wahne gegen ihn erhoben wurden. Er war der Ueber­zeugung, dass seine Verfolger die niederträchtigsten Schmähungen über ihn verbreiteten, dass dasComplot dahin zielte, ihn der Welt als einen abscheulichen Ver­brecher, als den Auswurf des menschlichen Geschlechtes darzustellen. Deshalb beschloss er, Alles zusagen, selbst den Schleier von alledem wegzuziehen, was an ihm tadelnswerth sein mochte, andererseits aber ungescheut das Gute an ihm zu schildern und die Feindseligkeit