81
Enttäuschungen.
an sich gezogen. Alle die Literaten, Gelehrten, liberalen Edelleute, Finanzmänner und Salondamen, die damals das geistige Paris bildeten, waren durchschnittlich ebenso frivol und liederlich wie geistreich und für die Wissenschaften begeistert. Fast Alle huldigten einem rohen Materialismus, der keine Ethik kennt. Ein grosser Theil von ihnen bestand aus Klatschbasen, die an persönlichen und literarischen Stänkereien, gegenseitigen Schmeicheleien und Verleumdungen ihr Genüge hatten. Dass auch auf Diderot und Grimm diese Charakteristik passt, beweist von allem anderen abgesehen ihr späteres Verhalten gegen Rousseau, für das Schuftigkeit ein eben passender Ausdruck ist. Diderot war ein vielseitiger und begabter Schriftsteller, wie allgemein bekannt, dabei ein Phrasenheld, in Worten und Thaten ein Libertin, ein derber leidenschaftlicher Gesell voll Galle und Rachsucht. Grimm war sehr klug, sehr ehrgeizig, vollkommen rücksichtlos, kalt und fein. Eine seltsame Verblendung hinderte Rousseau zunächst, die Art seiner Freunde zu erkennen.
Ehe die Erfahrung ihn über sie aufklärte, traf ihn von anderer Seite eine unerwartete Kränkung. Ein Herr Gauffecourt, ein älterer wohlhabender Mann, mit dem Rousseau seit vielen Jahren eng befreundet war, forderte Rousseau auf, ihn während einer Reise nach Genf zu begleiten. Am 1. Juni 1754 reisten beide mit Therese ab. Da Rousseau gern zu Fuss ging, war zumeist Gauffecourt mit Therese allein im Wagen und er benutzte die Zeit dazu, der ihm anvertrauten Genossin des Freundes in der gemeinsten Weise zu nahe zu
Möbius, Rousseau. 6