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Frau von Epinay.
Der zweite Theil des Entschlusses ist nicht zur Ausführung gekommen. Es machten sich verschiedene Bedenken gegen die Rückkehr nach Genf geltend und den Ausschlag gab schliesslich das Drängen der Frau von Epinap, die Rousseau auf ihrer Besitzung La Chevrette bei St. Denis eine Zuflucht anbot. Diese Dame, mit der Rousseau seit längerer Zeit bekannt war, hatte Geist und brachte Rousseau eine aufrichtige Zuneigung entgegen. Obwohl ihr Charakter bedenkliche Schwächen zeigte und ihr Lebenswandel nichts weniger als vorwurfsfrei war, hatte sie doch kein schlechtes Herz. Sie hat Rousseau später hart und ungerecht behandelt, hat ihn aufs Schwerste gekränkt, und der Bruch mit ihr wurde der Ausgangspunkt für alle seine Leiden. Aber sie war bei alledem eigentlich nur das Werkzeug eines klugen Spitzbuben, Grimm’s. Als ihre Memoiren 1818 erschienen, haben sie dem Andenken Rousseau’s in weiten Kreisen ernstlich geschadet, aber auch hier ist ihre Schuld wohl geringer als die des äusserst geschickten Mannes, der diese Memoiren formte und schärfte, eben jenes Grimm. Wie wir aus einem Briefe ihres Sohnes wissen, hat Frau von Epinapy selbst ihr Verhalten gegen Rousseau bereut.
Frau von Epinay also hatte ein kleines Häuschen, das am Ende ihres Parkes gelegen war und die Eremitage genannt wurde, für Rousseau herrichten lassen und bot es ihm in liebenswürdiger Weise als Wohnung an. Nach längerem Zögern willigte Rousseau ein, verliess am 9. April 1756 mit Therese und ihrer Mutter die Stadt und bezog die Eremitage. Der neue Aufent
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