Teil eines Werkes 
Bd. 1 (1911) J. J. Rousseau
Entstehung
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Rousseaus Mannesalter.

von drückenden Verpflichtungen, die Möglichkeit, seinem Werke zu leben. Er konnte also keine bürger­liche Stellung ausfüllen. Machte er den Versuch, ein Amt zu versehen oder dgl., so musste ihm sein guter Genius sagen, dass er auf dem Holzwege war, und dann kehrte er mit vollem Rechte um. In späteren Zeiten wich er, wie wir sehen werden, der Noth, erst der Unbarmherzigkeit der Menschen, die ihm keine Ruhestätte gönnten, dann dem Zwange der Krankheit, die ihn von Ort zu Ort trieb. Seine Neigungen waren durchaus stetig, denen, die ihm kein Unrecht gethan hatten, blieb er durch das Leben treu, seine Freude an der Natur, am Spazierengehen und am Landleben, seine Liebe zur Musik, sein botanischer Eifer dauer­ten ungeschwächt bis zum Ende an. Als Denker wie als Notenschreiber war er ein getreuer Arbeiter, der seine Aufgabe nie im Stiche liess. Wo sind also die Widersprüche, die Unstetigkeit?

Ich brauche kaum noch zu versichern, dass ich| die Meinung, nach der in der Entzweiung Rousseaus mit Grimm und Consorten der erste Ausbruch des Verfolgungswahnes Rousseaus zu erblicken ist, für ganz thöricht halte. Man kann die leidenschaftliche Erregtheit Rousseaus, die sich in allen diesen Vor­gängen kund giebt, seine übergrosse Empfindsamkeit für krankhaft erklären, aber auch dies ist nur cum grano salis richtig, insofern nämlich, als es ein weites Grenzgebiet zwischen geistiger Gesundheit und Krank­heit giebt, in dem für den krankhafter Seelenzustände Kundigen gar vielesGesunde als krank erscheint.

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