Teil eines Werkes 
Bd. 1 (1911) J. J. Rousseau
Entstehung
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Die Briefe an Malesherbes.

auch wenn ich noch so viel Grund hatte, sie zu hassen. Ich wünschte, mein Herr, dass ich Ihnen den Augenblick schildern könnte, der in so einziger Weise in mein Leben eingriff und der mir gegenwärtig sein wird, selbst wenn ich ewig leben sollte.

Ich ging, um Diderot zu besuchen, der damals in Vincennes gefangen war. Ich hatte ein Stück des Mer­cure de France in der Tasche und blätterte darin unter­wegs. Da fiel mir die Frage der Akademie zu Dijon in die Augen, die den Anlass zu meiner ersten Schrift gegeben hat. Wenn jemals etwas einer plötzlichen In­spiration geglichen hat, so war es die Bewegung, die in mir dadurch entstand. Mit einem Schlage fühle ich meinen Geist durch tausend Lichter geblendet, Massen von lebendigen Gedanken bieten sich mir auf einmal dar, mit einer Kraft und in einem Durcheinander, durch die ich in unaussprechliche Verwirrung gerieth. Mein Kopf ist betäubt, als ob ich betrunken wäre. Heftiges Herz­klopfen droht mich zu ersticken, erschüttert mir die Brust. Ich vermag nicht mehr im Gehen zu athmen und werfe mich unter einen der Bäume der Landstrasse. Da bringe ich eine halbe Stunde in einer solchen Auf­regung zu, dass ich beim Aufstehen das ganze Vorder­blatt der Weste von Thränen benetzt finde, ohne zu wissen, das ich solche vergossen. O, mein Herr, hätte ich damals den vierten Theil dessen niederschreiben können, was ich unter jenem Baume schaute und empfand, mit welcher Klarheit hätte ich dann die Wider-| sprüche der gesellschaftlichen Ordnung darlegen können, mit welcher Kraft hätte ich die Mängel unserer Einrich­