Die Briefe an Malesherbes.
schen ihres Elends und ihrer Schlechtigkeit Quelle sind, da sah ich ein, dass eben diese Meinungen auch mich selbst unglücklich gemacht hatten, und dass meine Uebel ebenso wie meine Fehler weit mehr aus meiner Lage als aus mir selbst hervorgingen. Da nun zur selben
Zeit eine Krankheit, deren Anfänge in meine Kindhei
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zurückreichten, sich als zweifellos unheilbar erwiesen hatte, trotz aller Versprechungen falscher Heilkünstler, die mich auf die Dauer nicht täuschen konnten, so schloss ich, dass, wenn ich überhaupt folgerichtig handeln und das auf meinen Schultern lastende Joch der Meinung abwerfen wollte, ich keine Zeit zu verlieren hätte. Nicht ohne Muth entschloss ich mich kurz und ich bin bis heute meinem Entschlusse treu geblieben mit einer Festigkeit, deren Werth ich allein beurtheilen kann, weil ich allein weiss, welche Widerstände ich zu überwinden hatte und noch habe, um jeder Zeit erfolgreich wider den Strom zu schwimmen. Immerhin fühle ich wohl, dass ich in den zehn Jahren etwas abgewichen bin, aber wenn ich nur wüsste, dass ich noch vier oder fünf Jahre zu leben hätte, so würde ich mir einen zweiten Anstoss geben und würde mich mindestens zu meiner ersten Höhe aufschwingen, um nicht mehr herabzusinken. Denn in allem Wesentlichen habe ich die Probe gemacht und ich halte es für aus
reichend durch die Erfahrung bewiesen, dass die Lage
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die ich gewählt habe, die einzige ist, in der der Mensch gut und glücklich sein kann, weil sie die unabhängigste
ist und die einzige, in der man nie genöthigt ist zum eigenen Vortheile den Anderen zu schädigen.
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