Teil eines Werkes 
Bd. 1 (1911) J. J. Rousseau
Entstehung
Seite
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Der dritte Brief,

Geist haftet ganz am Körper. Der Verfall meiner armen Maschine fesselt ihn von Tag zu Tag mehr an den letz­teren, bis er sich schliesslich ganz davon trennt. Von meinem Glücke möchte ich zu Ihnen reden, aber es redet sich schlecht von Glück, wenn man leidet. Meine Krankheit ist das Werk der Natur, mein Glück aber ist das meinige. Was man auch sagen mag, ich bin weise gewesen, denn ich bin glücklich gewesen, soweit es meine Natur mir verstattete. Ich habe das Glück nicht in der Ferne gesucht, sondern bei mir, und da habe ich es gefunden. Spartian berichtet, dass Similis, ein Höfling des Trajan, nachdem er ohne per­sönliche zwingende Gründe den Hof und alle seine Aemter verlassen, um friedlich auf dem Lande zu leben, folgende Worte auf sein Grabmal setzen liess:Sechs­undsiebzig Jahre habe ich auf der Erde verweilt und sieben davon habe ich gelebt. Ungefähr dasselbe könnte ich sagen, obwohl mein Opfer kleiner war, näm­lich: ich habe erst am 9. April 1756 zu leben angefangen. Ich kann es nicht aussprechen, mein Herr, wie nahe es mir gegangen ist, dass Sie mich für einen höchst unglücklichen Menschen gehalten haben. Das Publikum wird zweifellos ebenso urtheilen, und das bekümmert mich auch nicht wenig. O, dass das Loos, dessen ich mich erfreut habe, nicht aller Welt bekannt ist! Jeder würde sich dann gern ein ähnliches bereiten, es würde Friede auf Erden sein, die Menschen würden nicht mehr daran denken, einander zu schaden, und es gäbe keine Bösewichter mehr, wenn niemand einen Vortheil davon hätte, es zu sein. Aber was genoss ich doch, da ich