Teil eines Werkes 
Bd. 1 (1911) J. J. Rousseau
Entstehung
Seite
124
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Die Briefe an Malesherbes.|

allein war? Mich selbst, die ganze Welt, Alles, was ist, was sein kann, alles Schöne der wahrnehmbaren, alles Denkbare der Geisteswelt. Ich versammelte um mich alles, was mein Herz erfreuen konnte. Meine Wünsche waren das Maass meiner Lust. Nein, kein Wolllüstling hat jemals gleiche Wonnen geschmeckt. Hundertmal mehr habe ich in meinen Einbildungen genossen, als jener in der Wirklichkeit.

Wenn meine Schmerzen mich trüb die langen Nächte durchmessen liessen, wenn die Aufregung des Fiebers mir keinen Augenblick des Schlafes gönnte, dann suchte ich oft meinen gegenwärtigen Zustand zu vergessen, indem ich an die verschiedenen Ereignisse meines Lebens dachte, und Reue, süsses Erinnern, Be­dauern und Rührung bemühten sich gemeinsam, mich auf kurze Zeit meine Leiden vergessen zu lassen. Welche Zeit glauben Sie wohl, mein Herr, habe ich mir am häufigsten und am liebsten in meinen Träumen zurückgerufen? Nicht die Freuden meiner Jugend waren es, Sie waren zu selten, zu sehr gemengt mit Bitterkeit, sie lagen schon zu weit von mir. Es waren die meiner Zurückgezogenheit, meine einsamen Spazier­gänge, jene flüchtigen, aber herrlichen Tage, die ich ganz und gar mit mir allein zugebracht habe, mit meiner guten und einfachen Haushälterin, mit meinem viel­geliebten Hunde, meiner alten Katze, den Vögeln des Feldes und dem Gethiere des Waldes, mit der ganzen Natur und ihrem unbegreiflichen Schöpfer. Vor Tages­anbruch erhob ich mich, um den Sonnenaufgang in meinem Garten zu betrachten, und wenn ich sah, dass