Teil eines Werkes 
Bd. 1 (1911) J. J. Rousseau
Entstehung
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Die Briefe an Malesherbes.

nahme an der Gattung genügt, um mein Herz zu füllen, ich bedarf besonderer Freunde nicht. Wenn ich aber solche habe, ist es mein dringender Wunsch, sie nicht zu verlieren. Denn wenn sie mich verlassen, zerreissen sie mir das Herz und haben um so mehr Schuld, als ich nur Freundschaft von ihnen verlange, ja, wenn sie mich nur lieben und ich dies weiss, sogar ihre Gegen­wart entbehren kann. Statt der Gesinnung haben sie mir immer Dienstleistungen und Gefälligkeiten ge­boten, die sich zur Schau stellen liessen und mit denen ich nichts anzufangen wusste. Wenn ich sie liebte, wollten sie mich zu lieben scheinen. Ich, der ich in Allem den Schein verachtete, war damit nicht zufrieden und liess es mir gesagt sein. In Wirklichkeit haben sie nicht aufgehört, mich zu lieben, ich habe nur ent­deckt, dass sie mich nicht liebten.

Zum ersten Male in meinem Leben also sah ich mich plötzlich einsam und verlassen, dazu lebte ich in ‚Abgeschiedenheit und war fast ebenso krank wie heute. Unter diesen Umständen ging ich jene neue Verbindung ein, die mich so sehr für alle andern entschädigt hat, und für die mich nichts entschädigen wird. Denn sie wird hoffentlich so lange dauern wie mein Leben und wird, was auch geschehen mag, die letzte sein. Ich darf Ihnen nicht verbergen, mein Herr, dass ich eine heftige Abneigung gegen die Stände empfinde, die die andern beherrschen, oder, richtiger gesagt, ich sage es Ihnen frei heraus, Ihnen, der Sie aus ediem Ge­schlechte sind, Sohn des Kanzlers von Frankreich und | erster Vorsitzender eines selbstherrlichen Gerichtshofes,