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Der Weg meines Lebens : Erinnerungen eines ehemaligen Chassiden / von Josef R. Ehrlich ; mit einem Vorworte von Josef Weilen
Entstehung
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von Krone, Mantel und Zeigefinger und rief einen der An weſenden mit Namen, ſo hinſchauend auf ſeinen Sitz. Mein Geiſt ließ ihn ſchnell und eifrig herbeikommen und ich las ihm einen Abſchnitt vor. Dann rief ich einen zweiten, dritten und vierten, immer auf die beſtimmten Sitze hinſchauend und that daſſelbe vor ihrem andächtigen Ohr. Hernach hob ich raſch die eingebildete Thora in die Höhe, entrollte ſie ſo weit meine wirklichen Arme reichten, denn ich ſpannte ſie, zeigte die Inſchrift der erdichteten Menge und rief dabei die Worte:Das iſt die Thora, die Moſes dem Volke Israel gegeben! Wenn zufällig Jemand mir zugeſehen hätte, er würde mich für irrſinnig angeſehen haben, doch ich konnte nicht dafür, ich ſtrebte das, was meine Phantaſie erfüllte, bis ins Einzelne vor mich hinzuſtellen und mit dem Verſtande als Ganzes feſtzuhalten. Dieſes luftige Weſen meiner Ideale ſtrebte ich aber auch ins wirkliche, praktiſche Leben zu rufen und ich bat deshalb flehentlich den Samuel, er möge mich doch zumKore heranbilden laſſen. In der That, er er­füllte auch dieſen meinen frommen Wunſch und binnen einem halben Jahre war ich bereits im Stande bei einemPrivat­Mynjen(Privat⸗Verſammlung zum Beten) an jedem Sabbath die Thora vorzuleſen. Wie belohnt fühlte ſich Meiſter Samuel als er, hinter mir ſtehend, die klingenden, ſingenden Worte vernahm, die ich mit ſchweißbedeckter Stirn einer wirklichen Verſammlung zum Beſten gab!

Aber nicht nur im Vorleſen der Thora allein, auch im Vortrage der Klagelieder Jeremig's, die alljährlich am 9. Uw (Auguſt) abgehalten werden, ließ er mich unterrichten. Den Abend zuvor werden gewöhnlich alle Ständer, Tiſche und Bänke des Bethauſes umgelegt, alle Koſtbarkeiten, Decken und Vorhänge aufgehoben, damit das Haus ein Anſehen bekomme, wie der einſt geplünderte Tempel Jeruſalems . Hierauf kommen