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Der Weg meines Lebens : Erinnerungen eines ehemaligen Chassiden / von Josef R. Ehrlich ; mit einem Vorworte von Josef Weilen
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die Chaſſidim, in alten zerlumpten Gewändern angethan, zu­ſammen und halten unter dem Arme die abgelegten Pantoffel. Dann ſetzen ſie ſich alle niedrig hin, derKore beginnt in der herkömmlichen Trauerweiſe die Klagelieder vorzutragen, während die Jungen zur Erinnerung an die einſt erlittene Schmach von den Römern mit Diſteln und Waldeicheln die bärtigen Männer bewerfen und ſpöttiſch dabei lachen. Den Tag darauf wird allgemein gefaſtet. Männer und Weiber wallen ſodann auf die Friedhöfe, erbitten ſich bei ihren Todten Leben und Geſundheit und werfen ſchließlich Knoblauch auf die Gräber. Dieſer allgemeine Trauertag war aber für Samuel ein Freudentag, denn ich trug meine Klagelieder tactvoll und herzbewegend vor..

Aber auch im Vortrage der heiternMegille(Eſther) ließ er mich unterrichten. Dieſe wird amPurimfeſte ſogar in den Häuſern vorgeleſen; denn da die Frauen zu Hauſe mit Kochen und Backen beſchäftigt ſind, können ſie nicht ins Bethaus gehen, weshalb denn derKore gutwillig zu ihnen kommt. Alſo begleitete mich Samuel am Abend von Haus zu Haus; ich trug meine Pergamentrolle in einer langen, blechernen Schachtel, wie ein Schwert an der Seite und klirrte über die Straße. So traten wir denn bei den be­ſchäftigten Hausfrauen ein. Schnell legten ſie alles beiſeite, zogen einige Nachbarinnen heran, auch Töchter und Mägde, die mich im Halbkreis umſtellten und nun begann ich mit innigem Tone die glückliche Eſther ſingend und leſend zu preiſen.

Im Rauſche dieſer meiner Amtsthätigkeit hatte dieweil die raſtloſe Parze am Faden meines Lebens fortgeſponnen und ich erreichte das vierzehnte Lebensjahr.

Am erſten der zwei Neujahrstage, die mit dem Monate Tiſchre(Oktober) beginnen, ſo gegen Nachmittag, als alle