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Der Weg meines Lebens : Erinnerungen eines ehemaligen Chassiden / von Josef R. Ehrlich ; mit einem Vorworte von Josef Weilen
Entstehung
Seite
109
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1609

und überſchwemmten die Gaſſen und Straßen. Lachend durch­plätſcherte man ſie, eilend zu den Zubereitungen der heiligen Oſtern. Auch dieſe kamen und jeder freute ſich ſeines Lebens. Blauer wurde der Himmel, höher ging die Sonne, tiefer der Mond; zwiſchen den Bäumen heulte es nicht mehr, ſondern es rauſchte; bauluſtige Schwalben umflatterten den noch näß­lichen Koth und es paarten ſich die Sperlinge. Vor Thür und Thor ſpielten ſchon barfuß die Kinder und die Henne mit ihren Küchlein ging bereits auf den Miſt im Sonnen­ſchein und ſcharrte und gluckte. Pantoffel und Socken kamen wieder in Gebrauch und die leichten Kutten der Spaziergänger flatterten vom Zephir gehoben in die Höhe und in die Quere. Auch meine Mutter entbehrte ihrer Führerin, denn trocken war der Boden und ſie konnte ihre Wege ſchon allein an den Häuſern finden. Warm und wärmer iſt es geworden, der erſte Mai kam für uns Jünglinge heran und nun rückte die ganze Schule mit Fahnen und Trommeln, begleitet von den Lehrern, hinaus in den Wald.

So gehend, ſtreiften wir zufällig an den Trümmern des Hauſes von Samuel vorbei; denn ſeitdem der Dachſtuhl herabglitt, riß man die morſchen Wände ein und ließ vor­läufig alles ſo übereinander liegen. Dieſer Anblick bewegte ſehr mein Gemüth. Ich ſchlich mich ſachte aus den Reihen der Jünglinge, beſtieg den Trümmerhaufen und ſetzte mich gerade in die Mitte hinein. So ſaß ich und erwog im Geiſte mein Leben, wie es über Bruch und Schutt, gleichſam ver klärt, obenan ſchwebe und hatte eine ernſtliche Freude dieſe öde Stätte mit meinem Weſen auszufüllen. Dann erhob ich mich wieder, ſtieg in Gedanken die Höhe des Geſteines herab und als ich ſchon weit weg war, wandte ich mich noch einmal um, überblickte den Schutthaufen, unter welchem ich emporgewachſen war, und mit freudigem Staunen ſah ich, wie