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Sonderheft 2, Zur Entstehungs und Wirkungsgeschichte Fontanescher Romane
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Es sind zwei junge Männer, Assessoren oder Premierleutnants. Einer bleibt im Dienst und in seinen Akten, avanciert bis zum Chefpräsidenten. Der andere scheidet aus und erhebt sich zum Range eines gefeierten Dramatikers oder Romanschriftstellers. Ist es anzunehmen, daß die Beschäftigung mit der Literatur und das Selbsttätigsein auf diesem Gebiet Geist und Charakter mehr lähmt und hindert als Aktendurchsicht und Entscheidung aus den Akten? Grillparzer, Hebbel, Wilbrandt waren Juristen, Mediziner, Philo­logen, und jeder hatte Freunde. Die Freunde neben ihnen hielten aus und stiegen von Stufe zu Stufe, während Grillparzer die « Medea », Hebbel die « Judith » und Wilbrandt die « Messalina » schrieb. Bis zum Regierungsrat hin blieb eine Gleichberechtigung, mit einem Male aber begann ein Abgrund zwischen ihnen zu gähnen, und diesseits stand der Ministerialrat und jenseits der Dichter von «Medea» oder «Judith» oder «Messalina». Die Kunst ist Spielerei, sie stört und ist eigentlich ridikül. Die Beschäftigung wenn nicht mit dem Höchsten, so doch mit dem Feinsten ist lächerlich, in vieler Augen auch verächtlich. Sie hat nicht einmal Hausrecht, sie zählt gar nicht mit.

Ein junger Chamisso, Sohn Adelberts, trat beim zweiten Garderegiment ein, das damals der alte Möllendorf kommandierte, ein trefflicher alter Herr - derselbe, der am 18. März das Malheur hatte, von einem Volkshaufen ge­fangengenommen zu werden. Es entspann sich zwischen dem Obersten und dem Avantageur folgendes Gespräch:

v. M.: «Also Chamisso! Was war Ihr Herr Vater?» v. Ch.: « Dichter. » v. M.: « Was?» v. Ch.: « Dichter. »

v. M. (halb wohlwollend, halb aigriert): «Dichter? Na gut, gut. Er muß doch aber auch was Wirkliches gewesen sein.» v. Ch. (verlegen): « Mein Vater war auch Landwehroffizier. » v. M. (beruhigt und beruhigend): « Na sehn Sie! »

So wurde mir seinerzeit im Kuglerschen Hause, das dem Chamissoschen nahestand, erzählt, und wenn es nichtsdestoweniger erfunden sein sollte, so behaupte ich, daß es sich damals jeden Tag ereignen konnte und vielleicht auch heute noch.

Mir selber erging es vor einigen Jahren nicht besser, ja sogar noch schlimmer, weil es mich persönlich traf. Ich saß im Vorzimmer des Kultusministers und wartete. Mit mir ein Professor der Theologie. Der Bote ging hin und her und tat endlich die unvorsichtige, blamable Frage: « Gehören die Herren zusam­men? «Nein», sagte der Professor indigniert und mit einem Ton, mit einem Ton . . . O daß ich diesen Ton vor Gericht stellen könnte! Hätt ich Zeit ge­habt, ich hätt in den Werken des Herrn die Stellen über Demut und Liebe nachgeschlagen.

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