Heft 
(1891) 67
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Unwiederbringlich,

Roman

von

Theodor Fontane.

Neunzehntes Capitel.

Vier Wochen waren seitdem vergangen, und Mitte November war heran. Holk hatte sich kopenhagensch eingelebt, nahm Theil an dem kleinen und großen Klatsch der Stadt und dachte mitunter nicht ohne Bangen daran, daß in aber­mals sechs Wochen das eintönige Leben auf Holkenäs wieder in Aussicht stehe. Die Briefe, die von dorther eintrafen, waren nicht geeignet, ihn andren Sinnes zu machen; Christine, seit sie von der Pensionsreise zurück war, schrieb zwar regelmäßiger, und unterließ sogar alle verdrießlichen Betrachtungen; aber eine gewisse Nüchternheit blieb und vor Allem der doctrinäre Ton, der ihr nun einmal eigen war. Und gerade dieser Ton, mit seiner Beigabe von Unfehlbarkeit, war es, wogegen Holk sich innerlich immer wieder auslehnte. Christine war in Allem so sicher; was stand denn aber fest? Nichts, gar nichts, und jedes Gespräch mit der Prinzessin oder gar mit Ebba war nur zu sehr dazu augethan, ihn in dieser Anschauung zu bestärken. Alles war Abkommen auf Zeit, Alles jeweiliger Majoritätsbeschluß; Moral, Dogma, Geschmack, Alles schwankte, und nur für Christine waren alle Fragen gelöst, nur Christine wußte ganz genau, daß die Prädestinationslehre falsch und zu verwerfen und die calvinistische Abendmahls- sorm einAffront" sei; sie wußte mit gleicher Bestimmtheit, welche Bücher gelesen und nicht gelesen, welche Menschen und Grundsätze gesucht und nicht gesucht werden müßten, und vor Allem wußte sie, wie man Erziehungsfragen zu be­handeln habe. Gott, wie klug die Frau war! Und wenn sie dann wirklich einmal zugab, eine Sache nicht zu wissen, so begleitete sie dies Zugeständniß mit einer Miene, die nur zu deutlich ausdrückte: solche Dinge braucht man auch nicht zu wissen.

In dieser Richtung gingen Holk's Betrachtungen, wenn er des Morgens von seinem Fenster aus aus die stille Dronningens-Tvergade hernieder sah, die,

Deutsche Rundschau. XVII, 7. 1