Unwiederbringlich.
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sich dafür und stieg die Treppe hinauf, um Christine in ihrem Schlafzimmer aufzusuchen. Da saß sie denn auch, die Hände gefaltet, die Augen starr zu Boden gerichtet.
„Was ist Dir, Christine? was hast Du?"
Und die Dobschütz kniete vor ihr nieder und nahm ihre Hand und bedeckte sie mit Küssen und Thränen.
„Was hast Du?" wiederholte sie ihre Frage und sah zu ihr aus. Christine aber, während sie die Hand aus der Hand der Freundin löste, sagte leise vor sich hin:
„Und die mir die liebsten gewesen sind,
Ich wünsche sie nicht zurück."
Vierunddreißig st es Capitel.'
Eine Woche war vorüber seitdem.
Es war eine milde Luft, und wäre nicht der wilde Wein gewesen, der sich mit seinen schon herbstlich rothen Blättern um einzelne Säulen von Schloß Holkenäs emporrankte, so hätte man glauben können, es sei wieder Johannistag und das schöne Fest, das ein Vierteljahr vorher ganz Angeln mit begangen hatte, werde noch einmal gefeiert. Denn nicht nur lag es hell und beinahe sommerlich, wie damals bei der Wiedertrauung des gräflichen Paares, über Schloß und Park, auch die lange festliche Wagenreihe, die heute, genau wie am Tage der erneuten Trauung, zahlreiche Gäste gebracht hatte, war wieder da. Dazu klangen auch die Glocken wieder weit ins Land hinein, und die Mädchen von Holkebye standen, wie damals beim Erscheinen des hochzeitlichen Zuges, das Dorf entlang und streuten ihre Blumen. Aber heute waren es Weiße Astern, die sie streuten, und die, die vom Schlosse her des Weges kam, war eine Todte; vorauf Musik, hinter dem Sarge Holk und die Kinder und dann in langem Zuge die Verwandten und Freunde. Petersen stand am Kirchhofseingang und dem Zuge vorauf schritt er jetzt auf das Grab zu, das neben der baufälligen alten Gruft bereitet war. Hier angekommen, schwieg der Choral, alle Häupter entblößten sich, und dann senkten sie den Sarg hernieder, und die Erde schloß sich über Christine Holk. Ein Herz, das sich nach Ruhe sehnte, hatte Ruhe gefunden.
H-
2-
Julie von Dobschütz an Generalsuperintendent Schwarzkoppen.
Schloß Holkenäs, den 14. October 1861.
„Ew. Hochwürden wollen von unserer Freundin hören, deren Tod das Erste war, was Sie, nach Ihrem Amtsantritt in Ihrer alten Heimath, von hier aus erfuhren. Ich komme Ihrem Wunsche freudig nach, denn neben allem Schmerzlichen ist es mir immer wieder ein Trost und eine Erhebung, von der theuren Todten sprechen zu dürfen.
An dem Tage, wo Sie sie zuletzt sahen, reifte Wohl ein Gedanke in ihr, den sie lange mit sich umhertragen mochte. Vielleicht entsinnen Sie sich des elegischen, beinahe schwermüthigen Volksliedes, das Elisabeth Petersen an jenem Abende vortrug — Christine verließ gleich danach das Zimmer, und ich glaube, daß es von dem Augenblicke an in ihr seststand. Ich fand sie tief erschüttert und bekenne, daß bange Ahnungen sofort mein Herz erfüllten. Ahnungen, die
Deutsche Rundschau. XVII, g. 22