Unwiederbringlich.
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losigkeiten. Ich wähle dies Wort, weil ich das Wort „Leidenschaft," das freilich von andrer Seite schon gefallen ist, gern vermeiden möchte, von Rücksichtslosigkeiten aber läßt sich sprechen, ja, man braucht nicht einmal roth dabei zu werden. Und nun frage ich sie, und die Herren Capitanos an der Spitze, wer unter Ihnen hat Lust, um Helena's willen einen trojanischen Krieg anzuzetteln? Wer tödtet um Klytämnestra's willen Agamemnon?"
„Wir, wir." Und Pentz, eine vierzinkige Gabel zückend, setzte sogar hinzu: „Ich bin Aegisth."
Alles lachte, Ebba ihrerseits aber fuhr in immer wachsendem Uebermuthe fort: „Nein, meine Herren, es bleibt dabei, die Rücksichtslosigkeiten sind aus der Welt gegangen. Allerdings, so viel ist einzuräumen (und es steht bei Ihnen, dies gegen mich auszunutzen), allerdings finden sich auch im Alterthum vereinzelte Anfälle von Schwäche. So entsinn' ich mich, vor grauen Jahren, denn ich war noch im Flügelkleide, die Racinesche „Phädra" gesehen zu haben, mit der berühmten Rachel in der Titelrolle; — sie kam von Petersburg und nahm unser armes Stockholm nur so nebenher mit. Nun denn, besagte Phädra liebt ihren Stiefsohn, also sozusagen einen ganz fremden Menschen, der gar kein Recht hat, die Blutsfrage zu betonen, und dieser Stiefsohn verweigert sein „Ja," lehnt die Liebe einer- schönen Königin ab. Vielleicht der erste Decadence-Fall, erstes Vorspuken des schwächlich Modernen."
„O, nicht doch," versicherte Lundbhe. „Nicht des Modernen. Das Moderne verurtheilt solche Schwäche von Grund aus," und Pentz seinerseits setzte hinzu: „Schade, daß wir keine Phädra zur Hand haben, um die Streitfrage sofort zum Austrag zu bringen; man müßte denn vielleicht von Skodsborg her ..." Aber hicr unterbrach er sich, weil er inmitten seiner Rede wahrnahm, daß ihn die beiden Offiziere scharf sixirten, um ihn wissen zu lassen, daß er in ihrer Gegenwart den Namen der Danner, der ihm schon auf der Zunge schwebte, nicht spöttisch ins Gespräch ziehen dürfe.
Gleich danach wurde die Tafel aufgehoben, und Alles rüstete sich zum Aufbruch, wobei sich Holk, als einziger Mitbewohner des Ebba-Thurmes, wie halb verpflichtet fühlte, die Gäste bis in das als Garderobe dienende Flurzimmer Karin's zu begleiten. Hier blieb er auch, bis Alle sich entfernt hatten. Dann aber gab er Karin die Hand, schlug vor, Fenster und Thür zu öffnen, da sie's mit dem Ofen zu gut gemeint habe, und stieg rasch wieder die Treppe hinauf.
Oben in der offnen Thür stand Ebba, die Lichter brannten noch auf dem Tisch, und es mochte Holk, als er sie so sah, zweifelhaft sein, ob sie, vom Treppengeländer her, nur auf das Abschiednehmen unten, oder aber aus seine Rückkehr gewartet hatte. „Gute Nacht," sagte sie und schien sich, unter einer scherzhaft feierlichen Verbeugung, von der Schwelle her in ihr Zimmer zurückziehen zu wollen. Aber Holk ergriff ihre Hand und sagte: „Nein, Ebba, nicht so; Sie müssen mich hören." Und miteintretend sah er sie verwirrt und leidenschaftlich an.
Sie aber entwand sich ihm leicht, und anknüpfend an das vor wenig Minuten erst geführte Gespräch, sagte sie: „Nun, Holk, in welcher Rolle? Paris oder Aegisth? Sie haben gehört, daß sich Pentz dazu gemeldet."
Und dabei lachte sie.