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Deutsche Rundschau.
Bei guter Zeit War er wieder auf. Frau Hansen (Brigitte ließ sich auch heute nicht sehen) brachte das Frühstück, und weil sie fühlen mochte, den Abend vorher zu weit gegangen zu sein, befleißigte sie sich der größten Unbefangenheit und trug ihren Stadtklatsch harmlos und mit so viel glücklicher Laune vor, daß sich Holk nicht bloß seinem Mißmuth über die vorausgegangene Persidie der Alten, sondern zu seiner eigenen Ueberraschung auch seiner trüben Stimmung zu gutem Theil entrissen sah. Alles, auch das Heikelste, gewann in der Erzählung der guten Hansen etwas durchaus Heitres und durchaus Selbstverständliches, und als sie wieder fort war, war es ihm, als ob er eine freilich nicht sehr moralische, dafür aber desto lebensweisere Predigt über das, was Leben sei, vernommen habe. Wenn er das eben Gehörte zusammenfaßte, so hieß es etwa: ja, Graf Holk, so war es immer und so wird es immer sein. Es läßt sich Alles schwer nehmen, aber es läßt sich auch Alles leicht nehmen. Und wer die Kunst des Leichtnehmens versteht, der lebt, und wer Alles schwer nimmt, der lebt nicht und ängstigt sich vor Gespenstern, die gar nicht da sind. „Ja, die gute Frau Hansen hat recht," so schloß Holk seine Betrachtungen über das, was er eben vernommen hatte. „Leicht nehmen, Alles leicht nehmen, dabei fährt man am besten, das haben auch die Menschen am liebsten, und ein lachendes Gesicht ist der erste Schritt zum Siege."
Zwölf hatte noch nicht ausgeschlagen, als er aus seiner Wohnung in die Dronningens Twergade hinaustrat und auf das Palais zuschritt. Es war zweiter Feiertag, das Wetter hatte sich geklärt, und die Wintersonne lag aus Platz und Straße. „Das Fräulein ist wieder außer Bett" — so waren gestern Abend die Worte der Frau Hansen gewesen, und an der Richtigkeit dieser Mittheilung ließ sich nicht Wohl Zweifeln; daß aber das Fräulein nach einem so heftigen Fieberanfall auch schon wieder im Dienst sein sollte, das war freilich sehr unwahrscheinlich, und so stieg er denn, ohne vorgängiges Anfragen in den Gemächern der Prinzessin, in das von Ebba bewohnte zweite Stockwerk hinauf. Karin öffnete. „Das Fräulein zu sprechen?" — „Ja." — Und Karin ging vorauf, während Holk folgte.
Das Fräulein saß in einem Lehnstuhl am Fenster und sah aus den Platz, aus dem keine Spur von Leben war, nicht einmal die Herbstblätter tanzten mehr darüber hin. Als Holk eingetreten, erhob sich Ebba von ihrem Lehnstuhl und schritt auf ihn zu. freundlich, aber matt und nüchtern. Sie gab ihm die Hand, nahm dann, abseits vom Fenster, auf einem weiter zurückstehenden Sopha Platz und wies auf einen Stuhl, ihn auffordernd, damit in ihre Nähe zu rücken.
„Ich erwarte den Arzt," begann sie leise, mit mehr erkünstelter als wirklicher Anstrengung. „Aber der gute Doctor, er kommt immer noch früh genug, und so freu' ich mich denn aufrichtig. Sie zu sehen. Es läßt sich doch 'mal von etwas Andrem sprechen. Immer über sein Befinden rapportiren zu müssen — es ist so langweilig, für den Doctor gewiß, aber auch für den Kranken . . . Sie haben das Fest drüben zugebracht. Ich hoffe, daß Sie die Gräfin bei wünschenswerther Gesundheit fanden und daß Sie gute Festtage hatten."
„Ich hatte sie nicht," sagte Holk.