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Deutsche Rundschau.
Ueber Schloß und Park lag ein klarer frischer Herbstmorgen und die Sommer- säden hingen ihr Gespinnst an das hier und da schon blattlose Gesträuch. Asta war den Abend vorher aus der Pension eingetroffcn und brannte darauf, gleich nach beendigtem Frühstück, zu dem man sich eben gesetzt hatte, nach Holkebye hinunter zu steigen und der Freundin unten im Dorf ihren Besuch zu machen. „Ich komme mit," sagte Holk, und da die Dobschütz schon vorher zugesagt hatte, Asta begleiten zu wollen, so stiegen nun alle Drei die Terrasse hinunter, um, am Strande hin, den etwas näheren und schöneren Weg zu nehmen. Die breite Wasserfläche lag beinahe unbewegt, und nur dann und wann schob eine schwache Brandung ihren Schaum bis dicht an die Düne heran. Asta war glücklich, das Meer wieder zu sehen und brach oft ab in Erzählung ihrer Pensionserlebnisse, wenn dann und wann ein wunderbarer Lichtschimmer gerade über die stille Fluth hinglitt oder die Möven ihre Flügel darin eintauchten; aber mit einem Male war ihr Interesse für Meer und Lichtreflexe hin, und Elisabeth Petersen's ansichtig werdend, die, von der Düne her, auf den Strand hinaustrat, eilte sie der Freundin entgegen und umarmte und küßte sie. Holk und die Dobschütz Waren in diesem Augenblicke zurückgeblieben, was den beiden vor ihnen herschreitenden Freundinnen, die sich natürlich eine Welt von Dingen zu sagen hatten, sehr zu Paß kam, aber auch Holk war es zufrieden, weil ihm der sich rasch erweiternde Zwischenraum eine lang herbeigewünschte gute Gelegenheit bot, mit der Dobschütz ungezwungen über Christine zu sprechen.
„Es ist mir lieb, liebe Dobschütz," begann er, „daß wir einen Augenblick allein sind. Ich habe schon längst mit Ihnen sprechen wollen. Was ist das mit Christine? Sie wissen, daß ich nicht aus Neugier frage, noch weniger um zu klagen und am allerwenigsten um anzuklagen. Es hat Zeiten gegeben, wo Sie dergleichen mit anhören mußten, wo Sie schlichten sollten; aber wie Sie wissen, liebe Freundin, diese Zeiten liegen zurück und kehren nicht wieder. Aller Streit ist aus der Welt, und wenn ich mit Christine durch den Park gehe, wie's noch heute vor dem Frühstück der Fall war, und das Eichhörnchen läuft über den Weg und der Schwan fährt über den Teich, und Rustan, der uns begleitet, rührt sich nicht, vielleicht auch dann nicht, wenn ein Volk Hühner ausfliegen sollte — so fällt mir immer ein Bild ein, auf dem ich 'mal das Paradies abgebildet gesehen habe; Alles auf dem Bilde schritt in Frieden einher, der Löwe neben dem Lamm und der liebe Gott kam des Weges und sprach mit Adam und Eva. Ja, liebe Dobschütz, daran erinnert mich jetzt mein Leben, und ich könnte zufrieden sein und sollt' es vielleicht. Aber ich bin es nicht, ich bin umgekehrt bedrückt und geängstigt. Handelte sich's dabei nur um mich, so würd' ich kein Wort verlieren und in dem, was mir, trotz des vorhandenen Friedens, an Behagen und Freude fehlt, einfach eine mir auferlegte Buße sehen und nicht murren, ja vielleicht im Gegentheil etwas wie Genugtuung empfinden. Denn ein Unrecht fordert nicht bloß seine Sühne, sondern diese Sühne befriedigt uns auch, weil sie unserem Rechtsgefühl entspricht. Also noch einmal, wenn ich jetzt spreche, so sprech' ich nicht um meinet-, sondern um Christinens willen, und weil jeder Tag mir zeigt, daß sie Wohl vergessen möchte, aber nicht vergessen kann. Und nun sagen Sie mir Ihre Meinung."