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Deutsche Rundschau.
Aus dem Tische vor ihr lag der Brief; aber ihr fehlte der Muth, weiter zu lesen. Endlich sagte sie: „Wovor bange ich mich noch? Was kann noch gesagt werden, das ich mir nicht schon selber sagte? Der, um den all' dies kam, ist todt, eine Rückkehr in mein Haus gibt es nicht, in ein paar Wochen wird die Scheidung ausgesprochen sein, und das Kind wird man dem Vater lassen. Natürlich. Ich bin schuldig, und eine Schuldige kann ihr Kind nicht erziehen» Und wovon auch? Mich selbst werde ich Wohl durchbringen. Ich will sehen, was die Mama darüber schreibt, wie sie sich mein Leben denkt."
Und unter diesen Worten nahm sie den Brief wieder, um auch den Schluß zu lesen.
„. . . Und nun Deine Zukunft, meine liebe Effi. Du wirst Dich auf Dich selbst stellen müssen, und darfst dabei, so weit äußere Mittel mitsprechen, unserer Unterstützung sicher sein. Du wirst am besten in Berlin leben (in einer großen Stadt verthut sich dergleichen am besten) und wirst da zu den Vielen gehören, die sich um freie Luft und lichte Sonne gebracht haben. Du wirst einsam leben, und wenn Du das nicht willst, wahrscheinlich aus Deiner Sphäre herabsteigen müssen. Die Welt, in der Du gelebt hast, wird Dir verschlossen sein. Und was das Traurigste für uns und für Dich ist (auch für Dich, wie wir Dich zu kennen vermeinen) — auch das elterliche Haus wird Dir verschlossen sein; wir können Dir keinen stillen Platz in Hohen-Cremmen anbieten, keine Zuflucht in unserem Hause, denn es hieße das, dies Hans von aller Welt abschließen, und das zu thun, sind wir entschieden nicht geneigt» Nicht weil wir zu sehr an der Welt hingen und ein Abschiednehmen von dem, was sich ,Gesellschaft^ nennt, uns als etwas unbedingt Unerträgliches erschiene; nein, nicht deshalb, sondern einfach weil wir Farbe bekennen, und vor aller Welt, ich kann Dir das Wort nicht ersparen, unsere Verurtheilung Deines Thuns, des Thuns unseres einzigen und von uns so sehr geliebten Kindes aussprechen wollen . .
Essi konnte nicht weiter lesen; ihre Augen füllten sich mit Thränen, und nachdem sie vergeblich dagegen angekämpft hatte, brach sie zuletzt in ein heftiges Schluchzen und Weinen aus, darin sich ihr Herz erleichterte.
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Nach einer halben Stunde klopfte es, und aus Efsi's „Herein" erschien die Geheimräthin.
„Darf ich eintreten?"
„Gewiß, liebe Geheimräthin," sagte Essi, die jetzt, leicht zugedeckt und die Hände gefaltet, aus dem Sopha lag. „Ich bin erschöpft und habe mich hier eingerichtet, so gut es ging. Darf ich Sie bitten, sich einen Stuhl zu nehmen."
Die Geheimräthin setzte sich so, daß der Tisch, mit einer Blumenschale darauf, zwischen ihr und Effi war. Effi zeigte keine Spur von Verlegenheit und änderte nichts in ihrer Haltung, nicht einmal die gefalteten Hände. Mit einem Male war es ihr vollkommen gleichgültig, was die Frau dachte; nur fort wollte sie.
„Sie haben eine traurige Nachricht empfangen, liebe, gnädigste Frau ..."