184
Deutsche Rundschau.
„Warum nicht?"
„Ich bin früher gegangen. Aber das Richtige Hab' ich doch nicht gesagt."
„Das ist sehr Unrecht. Dann freilich kann es nicht Helsen."
„Ach, gnädigste Frau, bei mir im Dorfe machten es Alle so. Und welche waren, die kicherten bloß."
„Hast Du denn nie empfunden, daß es ein Glück ist, wenn man Etwas aus der Seele hat, daß es 'runter kann?"
„Nein, gnädigste Frau. Angst habe ich Wohl gehabt, als mein Vater damals mit dem glühenden Eisen auf mich los kam; ja, das war eine große Furcht, aber weiter war es nichts."
„Nicht vor Gott?"
„Nicht so recht, gnädigste Frau. Wenn man sich vor seinem Vater so fürchtet, wie ich mich gefürchtet habe, dann fürchtet man sich nicht so sehr vor Gott. Ich habe bloß immer gedacht, der liebe Gott sei gut und werde mir armem Wurm schon Helsen."
Efsi lächelte und brach ab und fand es auch natürlich, daß die arme Roswitha so sprach, wie sie sprach. Sie sagte aber doch: „Weißt Du, Roswitha, wenn ich wiederkomme, müssen wir doch noch 'mal ernstlich drüber reden. Es war doch eigentlich eine große Sünde."
„Das mit dem Kinde, und daß es verhungert ist? Ja, gnädigste Frau, das War es. Aber ich war es ja nicht, das waren ja die Anderen . . . Und dann ist es auch schon so sehr lange her."
Sechsundzwanzigstes Capitel.
Efsi war nun schon in die fünfte Woche fort und schrieb glückliche, beinahe übermüthige Briefe, namentlich seit ihrem Eintreffen in Ems, wo man doch unter Menschen sei, d. h. unter Männern, von denen sich in Schwalbach nur ausnahmsweise was gezeigt habe. Geheimräthin Zwicker, ihre Reisegefährtin, habe freilich die Frage nach dem Kurgemäßen dieser Zuthat aufgeworfen und sich aufs Entschiedenste dagegen ausgesprochen, Alles natürlich mit einem Gesichtsausdrucke, der so ziemlich das Gegentheil versichert habe; die Zwicker sei reizend, etwas frei, wahrscheinlich sogar mit einer Vergangenheit, aber höchst amüsant, und man könne viel, sehr viel von ihr lernen; nie habe sie sich, trotz ihrer fünfundzwanzig, so als Kind gefühlt, wie nach der Bekanntschaft mit dieser Dame. Dabei sei sie so belesen, auch in fremder Literatur, und als sie, Efsi,
beispielsweise neulich von Nana gesprochen und dabei gefragt habe, „ob es
denn wirklich so schrecklich sei," habe die Zwicker geantwortet: „Ach, meine liebe Baronin, was heißt schrecklich? Da gibt es noch ganz Anderes." „Sie schien mich auch," so schloß Efsi ihren Brief, „mit diesem ,Anderen' bekannt
machen zu wollen. Ich habe es aber abgelehnt, weil ich Weiß, daß Du die
Unsitte unserer Zeit aus Diesem und Aehnlichem herleitest, und Wohl mit Recht. Leicht ist es mir aber nicht geworden. Dazu kommt noch, daß Ems in einem Kessel liegt. Wir leiden hier außerordentlich unter der Hitze."