Heft 
(1894) 82
Seite
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Esfi Briest.

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Vier und dreißigstes Capitel.

Rurnmschüttel, als er gerufen wurde, fand Esfi's Zustand nicht un­bedenklich. Das Hektische, das er seit Jahr und Tag an ihr beobachtete, trat ihm ausgesprochener als früher entgegen, und, was schlimmer war, auch die ersten Zeichen eines Nervenleidens waren da. Seine ruhig freundliche Weise aber, der er einen Beisatz von Laune zu geben wußte, that Esst Wohl, und sie war ruhig, so lange Rurnmschüttel um sie war. Als er schließlich ging, begleitete Roswitha den alten Herrn bis in den Vorstur und sagte:Gott, Herr Geheimrath, mir ist so bange; wenn es nu mal wiederkommt, und es kann doch; Gott, -- da Hab' ich ja keine ruhige Stunde mehr. Es war aber 'doch auch zu viel, das mit dem Kind. Die arme gnädige Frau. Und noch so jung, wo manche erst anfangen."

Lassen Sie nur, Roswitha. Kann noch Alles wieder werden. Aber fort muß sie. Wir wollen schon sehen. Andere Lust, andere Menschen."

Den zweiten Tag danach traf ein Brief in Hohen-Cremmen ein, der lautete:Gnädigste Frau! Meine alten freundschaftlichen Beziehungen zu

den Häusern Briest und Belling, und nicht zum wenigsten die herzliche Liebe, die ich zu Ihrer Frau Tochter hege, werden diese Zeilen rechtfertigen. Es geht so nicht weiter. Ihre Frau Tochter, wenn nicht etwas geschieht, das sie der Einsamkeit und dem Schmerzlichen ihres nun seit Jahren geführten Lebens entreißt, wird schnell hinsiechen. Eine Disposition zu Phtisis war immer da. weshalb ich schon vor Jahren Ems verordnete; zu diesem alten Uebel hat sich nun ein neues gesellt: ihre Nerven zehren sich auf. Dem Einhalt zu thun. ist ein Luftwechsel nöthig. Aber wohin? Es würde nicht schwer sein, in den schlesischen Bädern eine Auswahl zu treffen, Salzbrunn gut, und Reinerz, wegen der Nervencomplikation, noch besser. Aber es darf nur Hohen-Cremmen sein. Denn, meine gnädigste Frau, was Ihrer Frau Tochter Genesung bringen kann, ist nicht Luft allein; sie siecht hin, weil sie nichts hat als Roswitha. Dienertreue ist schön, aber Elternliebe ist besser. Verzeihen Sie einem alten Manne dies Sicheinmischen in Dinge, die jenseits seines ärztlichen Berufes liegen. Und doch auch wieder nicht, denn es ist schließlich auch der Arzt, der hier spricht und seiner Pflicht nach, verzeihen Sie dies Wort, Forderungen stellt . . . Ich habe so viel vom Leben gesehen . . . aber nichts mehr in diesem Sinne. Mit der Bitte, mich Ihrem Herrn Gemahl empfehlen zu wollen, in vorzüglicher Ergebenheit I)r. Rurnmschüttel."

Frau v. Briest hatte den Brief ihrem Manne vorgelesen; beide saßen ans dem schattigen Steinfliesengange, den Gartensaal im Rücken, das Rondel mit der Sonnenuhr vor sich. Der um die Fenster sich rankende wilde Wein be­wegte sich leis in dem Luftzuge, der ging, und über dem Wasser standen ein paar Libellen im Hellen Sonnenschein.

Briest schwieg und trommelte mit dem Finger auf dem Theebrett.

Bitte, trommle nicht; sprich lieber."

Ach, Luise, was soll ich sagen. Daß ich trommle, sagt gerade genug. Du weißt seit Jahr und Tag, wie ich darüber denke. Damals, als Inn-