Heft 
(1894) 82
Seite
346
Einzelbild herunterladen

346

Deutsche Rundschau.

stetten's Brief kam, ein Blitz aus heitrem Himmel, damals war ich Deiner Meinung. Aber das ist nun schon Wieder eine halbe Ewigkeit her; soll ich hier bis an mein Lebensende den Großinquisitor spielen? Ich kann Dir sagen, ich Hab' es seit lange satt ..."

Mache mir keine Vorwürfe, Briest; ich liebe sie so wie Du, vielleicht noch mehr; Jeder hat seine Art. Aber man lebt doch nicht bloß in der Welt, um schwach und zärtlich zu sein und Alles mit Nachsicht zu behandeln, was gegen Gesetz und Gebot ist und was die Menschen verurtheilen und, vor­läufig wenigstens, auch noch mit Recht verurtheilen."

Ach was. Eins geht vor."

Natürlich, Eins geht vor; aber was ist das Eine?"

Liebe der Eltern zu ihren Kindern. Und wenn man gar bloß eines hat . . ."

Dann ist es vorbei mit Katechismus und Moral und mit dem Anspruch der.Gesellschaft-."

Ach, Luise, komme mir mit Katechismus so viel Du willst; aber komme mir nicht mit .Gesellschaft-."

Es ist sehr schwer, sich ohne Gesellschaft zu behelfen."

Ohne Kind auch. Und dann glaube mir, Luise, die .Gesellschaft-, wenn sie nur Will, kann auch ein Auge zudrücken. Und ich stehe so zu der Sache: kommen die Rathenower, so ist es gut, und kommen sie nicht, so ist es auch gut. Ich werde ganz einfach telegraphiren: .Esst, komm.- Bist Du ein­verstanden?"

Sie stand aus und gab ihm einen Kuß auf die Stirn.Natürlich bin ich's. Du solltest mir nur keinen Vorwurf machen. Ein leichter Schritt ist es nicht. Und unser Leben wird von Stund an ein anderes."

Ich kann's aushalten. Der Raps steht gut, und im Herbst kann ich einen Hasen Hetzen. Und der Rothwein schmeckt mir noch. Und wenn ich das Kind erst wieder im Hause habe, dann schmeckt er mir noch besser . . . Und

nun will ich das Telegramm schicken."

^ *

Esfi war nun schon über ein halbes Jahr in Hohen-Cremmen; sie be­wohnte die beiden Zimmer im ersten Stock, die sie schon früher, wenn sie zu Besuch da war, bewohnt hatte; das größere war für sie persönlich hergerichtet, nebenan schlief Roswitha. Was Rummschüttel von diesem Aufenthalt und all' dem andern Guten erwartet hatte, das hatte sich auch erfüllt, so weit sich's erfüllen konnte. Das Hüsteln ließ nach, der herbe Zug, der das so gütige Gesicht um ein gut Theil seines Liebreizes gebracht hatte, schwand wieder hin, und es kamen Tage, wo sie wieder lachen konnte. Von Kessin und Allem, was da zurück lag, wurde wenig gesprochen, mit alleiniger Ausnahme von Frau v. Padden und natürlich von Gieshübler, für den der alte Briest eine lebhafte Vorliebe hatte.Dieser Alonzo, dieser Preciosa-Spanier, der einen Mirambo beherbergt und eine Trippelli großzieht, ja, das muß ein Genie sein, das laß ich mir nicht ausreden." Und dann mußte sich Esfi bequemen, ihm den ganzen Gieshübler, mit dem Hut in der Hand und seinen endlosen