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Deutsche Rundschau.
Jnnstetten war einverstanden und setzte sich, als bald danach beide Mädchen das Zimmer verlassen hatten, zu dem Kinde. „Du bist so wild, Annie, das hast Du von der Mama. Immer wie ein Wirbelwind. Aber dabei kommt nichts heraus oder höchstens so 'was." Und er Wies auf die Wunde und gab ihr einen Kuß. „Du hast aber nicht geweint, das ist brav, und darum will ich Dir die Wildheit verzeihen . . . Ich denke, der Doctor wird in einer Stunde hier sein; thu' nur Alles, was er sagt, und wenn er Dich verbunden hat, so zerre nicht und rücke und drücke nicht dran, dann heilt es schnell, und wenn die Mama dann kommt, dann ist Alles wieder in Ordnung oder doch beinah'. Ein Glück ist es aber doch, daß es noch bis nächste Woche dauert, Ende nächster Woche, so schreibt sie mir; eben habe ich einen Brief von ihr bekommen; sie läßt Dich grüßen und freut sich, Dich wiederzuseh'n."
„Du könntest mir den Brief eigentlich vorlesen, Papa."
„Das will ich gern."
Aber eh' er dazu kam, kam Johanna, um zu sagen, daß das Essen aufgetragen sei. Annie, trotz ihrer Wunde, stand mit auf, und Vater und Tochter setzten sich zu Tisch.
Siebenundzwanzigstes Capitel.
Jnnstetten und Annie saßen sich eine Weile stumm gegenüber; endlich als ihm die Stille peinlich wurde, that er ein paar Fragen über die Schulvorsteherin und welche Lehrerin sie eigentlich am liebsten habe. Annie antwortete auch, aber ohne rechte Lust, Weil sie fühlte, daß Jnnstetten wenig bei der Sache war. Es wurde erst besser, als Johanna, nach dem zweiten Gericht, ihrem Anniechen zuflüsterte, es gäbe noch was. Und wirklich, die gute Roswitha, die dem Liebling an diesem Unglückstage was schuldig zu sein glaubte, hatte noch ein Uebriges gethan und sich zu einer Omelette mit Apselschnitten ausgeschwungen.
Annie wurde bei diesem Anblicke denn auch etwas redseliger, und ebenso zeigte sich Jnnstetten's Stimmung gebessert, als es gleich danach klingelte und Geheimrath Rummschüttel eintrat. Ganz zufällig. Er sprach nur vor, ohne jede Ahnung, daß man nach ihm geschickt und um seinen Besuch gebeten habe. Mit den aufgelegten Compressen war er zufrieden. „Lassen Sie noch etwas Bleiwasser holen und Annie morgen zu Hause bleiben. Ueberhaupt Ruhe." Dann srug er noch nach der gnädigen Frau und wie die Nachrichten aus Ems seien; er werde den anderen Tag wieder kommen und Nachsehen.
Als man von Tisch aufgestanden und in das nebenan gelegene Zimmer — dasselbe, wo man mit so viel Eifer und doch vergebens nach dem Verbandstück gesucht hatte —,, eingetreten war, wurde Annie wieder aus das Sopha gebettet. Johanna kam und setzte sich zu dem Kinde, während Jnnstetten die zahllosen Dinge, die bunt durcheinander gewürfelt noch auf dem Fensterbrett