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Deutsche Rundschau.
Und bei diesem dritten „wenn ich darf" war das Maß voll; Effi sprang auf, und ein Blick, in dem es wie Empörung ausslammte, traf das Kind. „Ich glaube, es ist die höchste Zeit, Annie; Johanna wird sonst ungeduldig." Und sie zog die Klingel. Roswitha, die schon im Nebenzimmer war, trat gleich ein. „Roswitha, gieb Annie das Geleit bis drüben zur Kirche. Johanna wartet da. Hoffentlich hat sie sich nicht erkältet. Es sollte mir leid thun. Grüße Johanna."
Und nun gingen beide.
Kaum aber daß Roswitha draußen die Thür ins Schloß gezogen hatte, so riß Effi, weil sie zu ersticken drohte, ihr Kleid auf und verfiel in ein krampfhaftes Lachen. „So also sieht ein Wiedersehen aus," und dabei stürzte sie nach vorn, öffnete die Fensterflügel und suchte nach etwas, das ihr beistehe. Und sie sand auch was in der Noth ihres Herzens. Da neben dem Fenster war ein Bücherbrett, ein paar Bände von Schiller und Körner daraus, und auf den Gedichtbüchern, die alle gleiche Höhe hatten, lag eine Bibel und ein Gesangbuch. Sie griff danach, weil sie was haben mußte, vor dem sie knieen und beten konnte, und legte Bibel und Gesangbuch auf den Tischrand, gerade da, wo Annie gestanden hatte, und mit einem heftigen Ruck warf sie sich davor nieder und sprach halblaut vor sich hin: „O Du Gott im Himmel, vergieb mir, was ich gethan; ich war ein Kind . . . Aber nein, nein, ich war kein Kind, ich war alt genug, um zu wissen, was ich that. Ich Hab es auch gewußt, und ich will meine Schuld nicht kleiner machen, . . . aber das ist zuviel. Denn das hier, mit dem Kind, das bist nicht Du, Gott, der mich strafen will, das ist er, bloß er! Ich habe geglaubt, daß er ein edles Herz habe, und habe mich immer klein neben ihm gefühlt; aber jetzt weiß ich, daß er es ist, er ist klein. Und weil er klein ist, ist er grausam. Alles, was klein ist, ist grausam. Das hat er dem Kinde beigebracht, ein Schulmeister war er immer, Crampas hat ihn so genannt, spöttisch damals, aber er hat Recht gehabt. ,O gewiß, Wenn ich darf? Du brauchst nicht zu dürfen; ich will euch nicht mehr, ich hass' euch, auch mein eigen Kind. Was zu viel ist, ist zu viel. Ein Streber War er, weiter nichts. — Ehre, Ehre, Ehre . . . und dann hat er den armen Kerl todtgeschossen, den ich nicht einmal liebte und den ich vergessen hatte, weil ich ihn nicht liebte. Dummheit War Alles, und nun Blut und Mord. Und ich schuld. Und nun schickt er mir das Kind, Weil er einer Ministerin nichts abschlagen kann, und ehe er das Kind schickt, richtet er's ab Wie einen Papagei und bringt ihm die Phrase bei -wenn ich darf'. Mich ekelt, Was ich gethan; aber was mich noch mehr ekelt, das ist eure Tugend. Weg mit euch. Ich muß leben, aber ewig wird es ja Wohl nicht dauern."
Als Roswitha wiederkam, lag Effi am Boden, das Gesicht abgewandt, Wie leblos.